Monsignore Anton Otte blickt in einem Interviewbuch auf eine bewegte deutsch-tschechische Vita zurück.
„Er ist einer von uns“, so stellte der Vyšehrader Dompropst Aleš Opatrný den Mann des Abends vor. Das ist kein Zufall. Anton Otte war sein Vorgänger in diesem ehrwürdigen Amt. Auf der Prager Festung Vyšehrad wurde nun auch des Interviewbuchs über das Leben des katholischen Priesters vorgestellt.
Dessen Werdegang ist ungewöhnlich. Der 1939 im nordmährischen Weidenau geborene Otte verbrachte seine Kindheit und Jugend in Tschechien. Erst als 20-Jähriger reiste er mit der Familie in die Bundesrepublik aus. In Königstein im Taunus studierte er Theologie und wirkte danach als Kaplan und Gefängnisseelsorger in Oberfranken. Nach der Samtenen Revolution folgte der unverhoffte Karrieresprung: Die Ackermann-Gemeinde als Verband sudetendeutscher Katholiken schickte Otte als ihren Repräsentanten nach Prag. Dort agierte er als Brückenbauer und Vorreiter der deutsch-tschechischen Versöhnung. Sein Verständnis auch für tschechische Empfindlichkeiten stieß in der eigenen Volksgruppe nicht immer auf Gegenliebe.
In dem zusammen mit dem Journalisten Josef Beránek verfassten Buch „Fernes Europa?“ erzählt Otte zuerst über seine Weidenauer Zeit. Er sagt, er sei von manchen als „deutsches Schwein“ bezeichnet worden. Zu tschechischen Freunden, Priestern und Ordensschwester hatte er jedoch sehr gute Beziehungen. Otte empfand keinen Hass auf „die Tschechen“ und so kam er nach der Emigration zur versöhnungsorientierten Ackermann-Gemeinde. Seine Vita und Zweisprachigkeit prädestinierten ihn für seine spätere Berufung nach Prag. Die Selbstzweifel, ob er als „einfacher Gefängnispfarrer“ den Anforderungen gewachsen sei, verflogen rasch. Otte erwies sich als talentierter Netzwerker. Er fand zu katholischen Vordenkern wie Petr Příhoda genauso einen guten Draht wie zu führenden Beamten des tschechischen Außenministeriums. In schwierigen Situationen suchten sie seinen Rat. Gegen erhebliche sudetendeutsche Widerstände setzte sich Otte schon damals für die Deutsch-Tschechische Erklärung von 1997 ein. Heute wird sie kaum noch infrage gestellt.
Schon der Buchtitel macht klar: Das Europathema liegt Anton Otte am Herzen. Europa ist für ihn keine abstrakte Idee, sondern etwas sehr Konkretes. Bereits als Schüler träumte er von den Vereinigten Staaten von Europa und konnte nicht verstehen, weshalb die nahe polnische Grenze so unüberwindbar war. Zugleich zeigt sich Otte als versierter Kenner der europäischen Institutionen und ihrer Geschichte. Was er vermisst, ist so etwas wie ein „europäischer Traum“. Europa müsste emotional viel näher an den Menschen sein, meint er. Dabei bringt er auch die christlichen Wurzeln ins Spiel. Die Ackermann-Gemeinde ist in diesem Feld schon länger aktiv. Mit tschechischen Partnern führte sie zur EU-Erweiterung 2004 die Seminarreihe „Heilige verbinden Europa“ durch. Und zu Ottes Buchvorstellung sagte ihr Bundesvorsitzender, man wolle für Europa auch beten.
Für alle an der jüngeren deutsch-tschechischen Beziehungsgeschichte Interessierten gilt: Sie werden diese Neuerscheinung mit Gewinn lesen. Natürlich ist es kein wissenschaftliches, sondern ein sehr persönliches Werk. Dennoch ist es auch für ein Fachpublikum interessant, wenn die deutsch-tschechische Verständigung nicht nur als Erfolgsgeschichte, sondern in allen Höhen und Tiefen erzählt wird. Ebenfalls profitiert das Buch davon, dass es keine Autobiographie ist. Denn Otte nimmt sich keinesfalls wichtig. Zu viel Ehrfurcht ist ihm unangenehm. Diese Situationen entkrampft er durch seinen trockenen Humor. Ganz auf den Protagonisten zugeschnitten ist aber, dass es ein zweisprachige Publikation ist. „Das wäre bei ihm gar nicht anders gegangen“, sagte Matthias Dörr, der Bundesgeschäftsfüher der Ackermann-Gemeinde. Man wird den Eindruck nicht los, dass Otte eine Persönlichkeit mit einer außergewöhnlichen Vita ist.
Anton Otte/Josef Beránek: „Vzdálená Evropa? Fernes Europa?“ ist im Vyšehrad-Verlag (Prag) in der Reihe „Rozhovory/Interviews“ erschienen, in Kooperation mit der Ackermann-Gemeinde.
Das könnte Sie auch interessieren:
„Lieber in der Ökumene als in der eigenen Pfarrei“
Helena Faberová aus Budweis setzt sich seit vier Jahrzehnten für die Verständigung von Tschechen und Deutschen ein.