Foto: Das ursprüngliche Goethe-Denkmal mit Sockel in Karlsbad

Als Marek Kokš vor etwa einem Jahr im westböhmischen Kurort Karlsbad (Karlovy Vary) mit seinem Bagger eine Fläche für neue Parkplätze planierte, stieß er auf einen gewaltigen Stein. Das Ding, so viel war klar, musste weg. Aber wohin damit? „Einfach auf eine Müllkippe?“, kratzte sich der Baggerfahrer fragend hinter’m Ohr. Dafür sah der große Quader zu schade aus. Kokš kam eine bessere Idee.

 

 

Er rief einen befreundeten Bildhauer an und erzählte ihm von dem Fund. Besagter Karel Meloun zeigte sich interessiert und bat den Baggerfahrer, das gute Stück erst einmal in einem Wald zu deponieren, von wo er es abholen würde. Nach kurzer Zeit kam Post von der Forstverwaltung. Der Stein könne nicht im Wald bleiben, er müsse weg. Meloun bugsierte also den schweren Brocken in sein Atelier und untersuchte ihn genauer. Dass er einen prächtigen Marmorquader vor sich hatte, sah er natürlich sofort. Aber erst bei genauerem Hinsehen stieß der Bildhauer auf eine Inschrift. „Goethe“ war da zu lesen.

Goethe und Karlsbad: das war eine besondere Liebesbeziehung. 13 Mal besuchte der Dichterfürst die Bäderstadt. „Auf der Welt gibt es nur drei Orte, an denen ich leben möchte: Weimar, Rom und Karlsbad“, hinterließ er. Die Stadt fühlte sich durch derlei Huldigung gebauchpinselt und beschloss, dem häufigen Gast ein Denkmal zu setzen. Fünfzig Jahre nach Goethes Tod wurde es feierlich eingeweiht. Geschaffen hatte es der Stuttgarter Bildhauer Adolf Donndorf. Es bestand aus einer Büste und einem mit Reliefs verzierten und dem Namen Goethe versehenen Sockel. Zwar meinte Donndorf, das Werk sei ihm misslungen. Aber die Stadtväter sahen das anders, waren des Lobes voll, zahlten und fanden auch den denkbar schönsten Platz für das Denkmal: in einem Park vor Karlsbads mondänstem Hotel „Pupp“. 

Hundert Jahre unangetastet

Dort stand es mehr als hundert Jahre. Es überstand auch die Bombenangriffe zum Ende des Zweiten Weltkriegs wie ein Fels in der Brandung. „Doch selbst die festen Felsen beben“, hatte der junge Goethe gedichtet. Und so kam es auch für sein Denkmal: es musste weichen. Goethe wurde wie Millionen seiner jetzigen deutschen Landsleute vertrieben. Der von der Stadt eingesetzte „Lokale Rat für Aufklärung“ beschloss, dass das Denkmal zunächst hinter vernagelten Holzbrettern zu verschwinden habe. Später sollte es ganz abgerissen werden.

Der Vorsitzende des Karlsbader Bauamtes, Ladislav Kozák, begründete die Entscheidung. Er fand zwar lobende Worte für Goethes „Genialität“ und „weltweiten Ruhm“. Auch lasse sich seine „Bedeutung für Karlsbad“ nicht bestreiten. „Man muss allerdings bedenken, dass er auch als typischer Vertreter des Deutschtums wahrgenommen wird. … Auch wenn er einer der Großen in der Literaturwelt war, so war seine Persönlichkeit doch klein. Sein menschliches Profil ist uns fremd und nicht besonders sympathisch“, kanzelte der Bauamtschef Goethe ab.

1946 wanderte die Büste Goethes immerhin noch in ein Museum. Der Sockel aber wurde zur Auffüllung eines Bombentrichters verwendet. Genau an der Stelle, wo fast 70 Jahre später Marek Kokš zufällig mit seinem Bagger zugange war.

In Karlsbad aber erinnerte man sich schon viele Jahre vorher wieder an Goethe. 1952 war man offenbar der Meinung, der deutsche Dichter sei nun ausreichend „entnazifiziert“ und könne wieder aufgestellt werden. Die Büste holte man dazu einfach wieder aus dem Museum. Doch wo der Sockel abgeblieben war, wusste niemand mehr. Also schuf man einen neuen, freilich nicht aus Marmor und auch kleiner, als der ursprüngliche gewesen war. Und man setzte das Denkmal – so viel Strafe für den Deutschen musste noch sein – auch nicht zurück vor das Hotel „Pupp“, sondern abseits vom Rummel der Kurgäste und Tagestouristen an eine Neben-Promenade, die aus der Stadt heraus führt. Wenigstens wurde die Büste seit 1958 als staatliches Kulturgut registriert.

Angebote und Schweigen

Als dem Bildhauer Karel Meloun klar war, welch bedeutendes Fundstück er da in seiner Werkstatt hatte, informierte er die Stadt Karlsbad. Er sei bereit, das Postament dem Kurbad zurückzugeben. Unter der Bedingung, dass das komplette Denkmal wieder an ursprünglicher Stelle aufgestellt wird. Nach diesem Angebot herrschte erst einmal tiefes Schweigen im Karlsbader Rathaus. Und in Ermangelung einer Antwort wie der Goethe-Büste stellte Meloun kurzerhand seine Geranien zum Überwintern auf den Sockel.

Im Frühjahr ließ die Stadt den marmornen Geranien-Unterbau abholen. Mit einem Restaurierungsversprechen. Auch der örtliche Rotary-Club wollte sich mit einer namhaften Spende beteiligen. Man buddelte noch einen zweiten Teil des Postaments aus. Doch dann kam plötzlich eine Anfrage aus Prag. Das dortige Goethe-Institut würde sonst etwas dafür geben, wenn es den Sockel haben könne. Und die Stadt reagierte diesmal prompt und überließ den Sockel großzügig als Leihgabe.

Das Goethe-Institut in Prag ist in einem prächtigen Eckhaus an der Moldau-Magistrale untergebracht. Bis zum Ende der DDR residierte in dem Gebäude mit herrlichem Blick auf die Burg die Botschaft der DDR. War das Haus seinerzeit für Besucher tabu, gehört es heute mit seinen zahlreichen Veranstaltungen zu einem gern aufgesuchten Ort. Direkt davor sollte der Sockel stehen. Und nicht nur der Sockel.

Moderne Kunst zu modern

Der Bildhauer Jiří David erdachte und fertigte eine Installation, die auf diesem Sockel Platz gefunden hat. Es ist eine gewöhnliche Schubkarre, in der in Beton gegossener Schutt symbolisch auf den Müll geschoben wird. Zermalmte Überreste des kulturellen Gedächtnisses, missachtete und vergessene kulturelle Werte. David nennt sein Kunstwerk ein „Anti-Denkmal von Johann Wolfgang von Goethe“. Er will damit Kritik an der gegenwärtigen Ausprägung der Bildhauerei üben, am Kult um Statuen und Denkmäler, von denen es auch in Prag nur so wimmelt und die vor allem als Hintergrund für unvermeidliche Touristen-Selfies herhalten müssen.

David wollte bewusst keine weitere fotogene, nette Dekoration Prags schaffen, sondern mit seinem Werk mahnen. Zur Jubiläumsfeier zum 25. Geburtstag des Goethe-Instituts in Prag wurde es unlängst enthüllt. Den feierlichen Akt nahm höchstselbst Oberbürgermeisterin Adriana Krnáčová vor.

Doch jetzt machten der Magistrat und die Stadtverwaltung des 1. Prager Bezirks einen überraschenden Rückzieher: in einem Schreiben an das Goethe-Institut verlangten sie Ende vergangener Woche die Entfernung des ungewöhnlichen Anti-Denkmals bis Heiligabend. Ansonsten drohe eine Geldstrafe von einer halben Million Kronen (knapp 18.000 Euro). 

Die Forderung kam vom Ausschuss für Verkehr und dem für Denkmalpflege, wie die Zeitung „Lidové noviny“Q am Montag berichtete. Angeblich, so die Verkehrsexperten, gefährde das Kunstwerk die Fußgänger. Das klingt nicht sonderlich glaubwürdig, hat doch der Fußweg vor dem Gebäude eine Breite von mindestens zehn Metern. Die Begründung der Denkmalpfleger trifft wohl eher zu. Danach passe das Anti-Denkmal nicht in die umliegende architektonische Landschaft. Oder anders gesagt: das potthässliche Teil gehört nicht in unser schönes Prag.

Das Goethe-Institut gab klein bei: „Als Gast in diesem Land respektieren wir die Regeln, die die Prager Behörden erlassen.“ Das Haus bedauerte jedoch die Entscheidung, sollte doch die Zusammenarbeit mit dem Bildhauer David der Anfang einer Kooperation mit Nachwuchskünstlern werden, damit Prag künftig mehr moderne Kunst bekommt. 

Was mit dem Sockel jetzt werden soll, ist noch unklar. Vielleicht geht er zurück nach Karlsbad, wo man das Problem schon los zu sein glaubte. Wie die Bäderstadt in Sachen Denkmäler eh gestraft zu sein scheint. 

Der Ärger mit den Statuen

So gab es immer wieder Ärger mit einer Statue für den tschechoslowakischen Staatsgründer und ersten Präsidenten der Republik, Tomáš Garrigue Masaryk. Diese Statue im Stadtzentrum übte lange eine besondere Anziehungskraft auf die zahllosen Touristen und Kurgäste aus Russland aus. Die meinten, bei dem Denkmal handle es sich um eines für Lenin. Sie legten gern mal auch größere Blumengebinde mit Schleifen nieder, auf denen der russische Revolutionsführer namentlich gewürdigt wurde.  

Man muss den Russen zugutehalten, dass der Masaryk tatsächlich Züge von Lenin trägt. Trotzdem ist seit einiger Zeit Schluss mit dem Lenin-Kult in Karlsbad. Vor dem Denkmal steht ein Schild, dass Klarheit schafft. Jetzt verstehen auch die Russen, dass dort nicht der Held der Bolschewisten steht, sondern Masaryk. Das ändert aber nichts daran, dass Karlsbad – anders als zu Goethes Zeiten – heute ziemlich fest in „russischer Hand“ ist. 

 

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