Das ifa-Entsendeprogramm von heute erinnert unseren Autor Hans-Jürgen Barteld an Erfahrungen, die er in den 1980er Jahren in Rumänien, Polen und der damaligen Tschechoslowakei machte.
Der Tipp aus der LE-Redaktion erwies sich als Volltreffer: Tag der offenen Tür an der deutschen Botschaft, Palais Lobkowitz Prag. Der Nachmittag im historisch gewordenen Garten (Herbst 1989!) brachte mir eine Reihe interessanter Begegnungen und Gespräche, etwa am Stand des Kulturverbandes und des ifa (Institut für Auslandsbeziehungen). Die ifa-Mitarbeiterin aus Stuttgart, Margarete Walo, Koordinatorin des ifa-Entsendeprogramms, erzählte anschaulich von ihrer Arbeit, von der Auswahl der Bewerber, der Entsendung in die Länder Ostmittel- und Südosteuropas und darüber hinaus. Von den Entsendestellen war zu dem Zeitpunkt nur eine nicht besetzt, und zwar in Rumänien. „Hätten Sie nicht Lust?“, scherzte die fesche Polin. Für einen Moment vergaß ich mein deutlich fortgeschrittenes Alter und frohlockte: „Etwa in Temeswar?!“ – „Leider nein, im Norden des Landes…“
Zuhause tabu: Lage der Minderheiten
Temeswar (Timișoara): Vor mir lief ein Film ab, Zeitraffer-Rückblende auf 1983. Damals war ich eine Woche zu Gast bei der „Neuen Banater Zeitung“ (NBZ), eine Woche übervoll an Eindrücken bei Stippvisiten in Stadt und Land, mitten unter der deutschen Minderheit. Erbauendes und Schmerzhaftes – vieles, wovon in der DDR selbstredend nichts zu hören war. Der Mangel allgegenwärtig, die Menschen mit erhobenem Haupt, arbeitsam wie ihre alt-schwäbischen Vorfahren. Und sie luden uns ein, zu Gesprächen – bei allerbester Bewirtung – bis spätabends, als Gäste aus dem Lande der Väter. So in Großsanktnikolaus, wie es an erster Stelle über dem rumänischen „Sânnicolau Mare“ auf den Ortsschildern zu lesen war, weil hier die Deutschstämmigen – noch – in der Mehrzahl waren. Stets spürbar war ihre Bindung, die Pflege von Brauchtum und Sprache; traurig über jeden, der wegging, umsiedeln durfte – eben nach Deutschland (West). NBZ-Chefredakteur Nikolaus Berwanger, Schriftsteller, aktiv in der Lenau-Gesellschaft mit wiederholten Gastaufenthalten in der BRD, prognostizierte uns recht zielgenau das nicht zu ferne Ende des „sozialistischen Lagers“. Zusammen mit seinem Redaktionskollektiv mühte er sich Tag um Tag, den Lesern mehr als verordnete Parteipolitik zu bieten: eine abwechslungsreiche, unterhaltsame, stilistisch saubere Zeitung. Dem waren zwar enge Grenzen gesetzt, doch die Journalisten überschritten bzw. unterliefen diese meisterhaft. Mit der gleichfalls im Hause tätigen Zeitungsredaktion der ungarischen Minderheit hatte man sich den einzig verfügbaren Pkw, Benzin kontingentiert, zu teilen.
Warnung vor dem Bruderland?!
Mit Blick auf die heutigen Möglichkeiten, die das ifa-Entsendeprogramm bietet, speziell die Redakteursstelle beim LandesECHO: Die einst ereilte Gunst, jeweils bei einer Redaktion eines „Bruderlandes“, im jeweiligen Partnergebiet des Bezirkes Gera, hospitieren zu dürfen, kann schon ein wenig mit den heutigen ifa-Abordnungen verglichen werden. Wie gerne aber wäre man damals länger geblieben, hätte dort mitgearbeitet! Aber das barg wohl nach Empfinden der Entsender auch die Gefahr, von einem politischen Bazillus infiziert zu werden. Entsprechende Wachsamkeitshinweise wurden etwa mit auf die Reise nach Allenstein (Olsztyn)/Polen gegeben, wo die Solidarność bereits wirbelte. Die Gespräche mit den Kollegen der „Olsztynska Gazeta“ verschafften einen direkten, ungefilterten Einblick. Ein Zusatzgewinn: Die schon ältere Übersetzerin brachte eine Reihe von Büchern über das alte Ostpreußen; mit diesem Lehrstoff waren die Nächte dort sehr kurz.
Pressefest in Gera mit Gästen aus Pilsen (ČSSR), Olztyn (PL), Pskow (UdSSR), Sliven (Bulgarien). Ganz links Hans-Jürgen Barteld (damals Redakteur der „Volkswacht“ in Gera), der mit weiteren Kollegen die Gäste betreute. Foto: Archiv Hans-Jürgen Barteld
Verordnetes Grenzregime, Misstrauen
Noch bis heute wirkt auch der Aufenthalt in Pilsen (Plzeň) von 1986 nach, als Gast der „Plzeňská Pravda“. Die Kollegen hatten sich zuvor bei meiner Geraer Redaktion nach besonderen Interessen erkundigt und das Exkursionsprogramm entsprechend gebaut: Škoda-Werke samt Kernreaktorenfertigung, Wohnungsbau, Westböhmische Eisenbahndirektion (Zuhause entstanden daraus Beiträge für die eigene Zeitung). Unvergessen bleiben allerdings auch die jeweiligen, teils schizophrenen Reisegenehmigungserfordernisse samt limitierten Geldumtausch und vor allem die Grenz-Passage mit stets flauem Gefühl im Magen: strenge Gesichter der überkorrekten Wächter beidseits, angstvolle Blicke der Pkw-Ein- und Ausreisenden. Im Nu konnte das Gefährt nach draußen gewunken und regelrecht auseinandergenommen werden – wahrhaft kein brüderlicher Umgang zwischen den „Bruderländern“. Wirkliche Freundschaft war nicht gewollt. Deshalb wohl auch nur der jeweils am kürzesten mögliche Redakteursaustausch. Das heutige ifa-Entsendeprogramm ist nicht hoch genug zu schätzen – man müsste nochmal zwanzig sein…
Über das ifa-Entsendeprogramm:
„Das Entsendeprogramm des ifa bietet die Möglichkeit, Organisationen deutscher Minderheiten zu unterstützen und neue Erfahrungen zu sammeln. Die Arbeitsaufenthalte im östlichen Europa oder Zentralasien dauern zwischen einem und fünf Jahren. In den Organisationen arbeiten die ifa-Kulturmanager:innen beziehungsweise Redakteur:innen in ausgewählten Projekten und unterstützen die Einrichtungen mit ihrem Knowhow. Ziel des Entsendeprogramms ist es, ein modernes und lebendiges Deutschland- und Europabild zu vermitteln und die Organisationen vor Ort in ihrer kulturellen Brückenfunktion zwischen Minderheit und Mehrheit zu stärken.“
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