Unser Kolumnist machte kürzlich einen Ausflug in die Karlsbader Region. Dabei verfolgte ihn Johann Wolfgang von Goethe auf Schritt und Tritt.
Es herrscht Inflation. Nicht die mit den Preisen für Lebensmittel, Energie, Mieten. Es geht diesmal um Johann Wolfang von Goethe und den inflationären Gebrauch seines Namens im öffentlichen Raum – nicht nur in Deutschland, sondern ganz offenbar auch in Westböhmen.
Neulich machte ich nämlich einen mehrtägigen Ausflug von Prag aus in die Karlsbader Region. Auf dem Programm standen zuvorderst das Schlürfen heilender Wässerchen, Lustwandeln auf den Karlsbader Kolonnaden, das Besteigen verschiedener Aussichtstürme sowie die Besichtigung diverser Burgen und Burgruinen. Dabei war ich nicht allein. Johann Wolfgang von Goethe war mein ständiger – unfreiwilliger – Begleiter. Denn eines muss man wissen: Böhmen und Goethe, das ist wie Pech und Schwefel, wie Burger und Pommes, wie Weihnachten und gestrickte Socken von der Oma. Das eine kriegt man meist nicht ohne das andere. Goethe verweilte zwischen 1785 und 1823 insgesamt 17 Mal in Westböhmen, vor allem in Karlsbad (Karlovy Vary) und Marienbad (Mariánské lázně). Er verbrachte hier die Sommer, feierte seine Geburtstage, suchte Zerstreuung sowie Inspiration für seine literarisch-poetischen Schöpfungen, drehte im Rahmen seiner geologischen Leidenschaft allerhand Steine um und fand – nicht zuletzt – als Über-Siebzigjähriger hier seine letzte große, allerdings unerfüllte, Liebe: das etwa fünf Jahrzehnte jüngere Fräulein, Ulrike von Levetzow.
„Hier wohnte Goethe“
Auf meinem ersten Spaziergang durch die Stadt dauerte es nicht lang und ein marmorner Goethe hieß mich in dem Kurort willkommen (Bild oben). Eine daneben angebrachte Plakette mit einem Goethe-Zitat stimmte mich auf Karlsbad ein.
„Die Neuen“! Damit war ja wohl ganz klar ich gemeint, war es doch mein allererster Besuch im Ort der heißen Sprudelquellen. Heiter gestimmt ging ich weiter, bis ich an einer Häuserfassade auf einem Täfelchen las: „Hier wohnte Goethe“. Ich staunte und wurde andächtig, gar rührselig. Hier verweilte er also, der berühmte Goethe, deutscher Dichterfürst und versgewordener Albtraum unzähliger Generationen von Deutsch-Abiturienten. Ein paar Steinwürfe weiter traute ich meinen Augen nicht, wieder verkündete eine Plakette stolz: „Hier wohnte Goethe“. Ach, hier also auch? Gefühlt ging es noch etliche Male so weiter. Vielleicht war Goethe ein nur schwer zufriedenzustellender Gast, der gerne das Hotel wechselte? Aber Goethe „wohnte“ nicht nur in Karlsbad, er genoss dort offenbar auch gerne böhmisches Bier. Jedenfalls suggeriert dies „Goethe`s Beer House“ im Karlsbader Stadtzentrum. Wie Bier wohl vor 200 Jahren, zu Goethes Zeiten, schmeckte? Ich widerstand dem plötzlichen Drang, der Frage auf den Flaschengrund zu gehen und machte mich weiter auf den Weg – den Weg nach oben.
Goethe mit Weitblick
Aussichtspunkte und -türme ringsherum locken die Karlsbader Kurgäste aus ihren wohligen Wellnesshotels und motivieren zum Überwinden zahlreicher Höhenmeter. Einer der beliebtesten Aussichtstürme südöstlich der Stadt trägt – wie könnte es anders sein – den Namen „Goetheblick“. Es ist die 1888/1889 errichtete, 42 Meter hohe, ehemalige Kronprinzessin-Stephanie-Warte, die nach dem Ersten Weltkrieg – nach Adalbert Stifter – in „Stifterwarte“ umbenannt wurde . In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg trug der Aussichtsturm den Namen Josef Stalins, der glücklicherweise aber auch bald wieder aus der Mode kam. 1957 trat Goethe die Nachfolge als Namensgeber an, auch wenn er mit dem Turm nur in einem losen Zusammenhang steht.
Über alle Beschreibungen schön
„Erstmal genug Goethe“, dachte ich mir und begab mich auf einen Ausflug in die Region – nach Elbogen (Loket), das über einem Knick des Eger-Flusslaufes thront (woher schließlich auch die Bezeichnung des Ortes stammt). Aber auch hier hatte ich die Rechnung ohne den dichtenden Frankfurter gemacht. Direkt am Marktplatz, an der offenbar kürzlich restaurierten Fassade des Hotels „Zum Weißen Ross“ prangt nicht zu übersehen ein Goethe-Zitat, das sich auf den Ort Elbogen bezieht:
Just hier – in dem einstigen Schwarzenberg-Lusthaus – feierte Goethe im Jahre 1823 seinen 74. Geburtstag, zusammen mit seiner Ulrike. Dieses Ereignis ist auf einem Bild festgehalten, das nebenan, in der mittelalterlichen Burg Loket, zu sehen ist. Die Ausstellung in der Burg Loket erinnert die Besucher wiederholend an den deutschen Schriftsteller und dessen Aufenthalt. Angeblich habe es besonders der in der Burg ausgestellte außerirdische Gesteinsbrocken Goethe angetan – das 15 Kilogramm schwere Fragment eines Meteoriten, dessen größter Teil sich heute in Wien befindet. Wem das noch nicht genug Goethe war, für den gibt es in Elbogen noch das „Goethe Hotel“ mit dazugehöriger Gaststube.
Mit Goethe zur Burgruine
Bevor es wieder zurück nach Prag geht, ist noch Zeit für einen kurzen Stopp in Engelhaus (Andělská Hora, auf Deutsch früher auch Engelsberg, Engelstad oder Engelspurk), nur sechs Kilometer von Karlsbad entfernt. Hier befand sich einst die von den Herren von Riesenburg errichtete Engelsburg, die ihre besten Zeiten aber schon lange hinter sich hat. Nachdem die Burg durch die Belagerung der Schweden im Dreißigjährigen Krieg einige Schäden davontrug und im Jahr 1718 dann auch noch ein Feuer wütete, beließ man es dabei und machte sich nicht mehr die Mühe, die Burg wiederaufzubauen. Burgen waren sowieso nicht mehr in Mode, die Heizkosten für ein solches Gebäude wohl auch schon damals exorbitant hoch. Kein Fürst mochte sich dort mehr den Allerwertesten abfrieren. Also blieb nur eine Ruine, die man heute besteigen und von wo aus man den malerischen Ausblick über die Landschaft genießen kann.
Als ich mich also dem Fuße des Burgbergs näherte, sprang mir schon der Aufsteller mit Goethes Namen in die Augen. Hier war er also auch! Gibt es denn kein Entkommen? Kein Fleckchen Erde, auf den nicht auch schon Goethe seinen Fuß setzte? Der Informationstafel ist zu entnehmen: „Er interessierte sich für die geologische Entstehung der Gesteinsformation und es fesselte ihn die Schönheit der in seinen Zeichnungen oft dargestellten Landschaft mit der Ruine.“ Außerdem soll er hier seinen 37. Geburtstag gefeiert haben. Schon damals war Goethe ein Superstar. Laut der Informationstafel sei er im Ort von einer „Schar Bauernmädchen“ – also seinen „Fangirls“ – empfangen worden, die ein Gedicht aus Goethes Feder vortrug… Nun gut – ich ergab mich meinem Schicksal und wandelte also auch hier auf Goethes Spuren.
Als ich ganz oben auf der Burgruine stehe und über die westböhmische Landschaft blicke, überlege ich, wann ich eigentlich zum letzten Mal etwas von Goethe gelesen habe. In der Schule? Vielleicht ist es ja doch mal wieder Zeit, den Faust in die Hand zu nehmen. Aber nächstes Mal fahre ich nach Italien, da war Goethe sicher noch nicht!