Wer ist die deutsche Minderheit in Tschechien und wo trifft sie sich? In dieser Folge unserer Serie stellen wir Ihnen das Begegnungszentrum (BGZ) in Mährisch Schönberg (Šumperk) vor.
Im Altvatergebirge (Hrubý Jeseník) liegt die Bezirksstadt Mährisch Schönberg (Šumperk) am Fluss Tess (Desná). Schon im 12. Jahrhundert war die Gegend besiedelt, die ersten Kolonisten kamen wahrscheinlich aus dem damals schon übervölkerten Schlesien und benannten – nach einer der Thesen – ihre neue Heimat nach der Lage. Aus der deutschen Bezeichnung „schöner Berg“ entstand „Schönberg“. Die Stadt befand sich praktisch zu jeder Zeit unter der Herrschaft der führenden mährischen Adelsgeschlechter. Ihre Prosperität sicherte wahrscheinlich das Vorkommen von Edelmetallen in der Umgebung. Zu einer wirtschaftlichen Entwicklung kam es im 18. Jahrhundert durch das Leineweberhandwerk, aus dem sich später die Leinen- und Textilindustrie entwickelte. Mit der Industrialisierung wurde die Stadt zu einem Anziehungspunkt für Unternehmer aus Wien, zwischen 1850 und 1930 verdreifachte sich die Einwohnerzahl und man nannte Mährisch Schönberg sogar „Klein Wien“. Nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit verfiel die Stadt in einen Dornröschenschlaf, aus dem sie erst nach der Samtenen Revolution wieder aufwachte. Der Stadtkern wurde zur denkmalgeschützten Zone erklärt und saniert.
Jugendtreffen und Pflege der deutschen Sprache
Dort befindet sich seit 1994 auch das BGZ der deutschen Minderheit in dem im spätbarocken Stil erbauten Geschaderhaus, das früher als Museum und Stadtarchiv genutzt wurde. Trägerverein des BGZ ist der im Jahre 1990 gegründete Verband der Deutschen Nordmähren – Adlergebirge (VdD) mit zur Zeit sechs aktiven Ortsgruppen in Freiwaldau (Jeseník), Römerstadt (Rýmařov), Grulich (Králíky), Rokitnitz (Rokytnice v Orlických horách), Sternberg (Šternberk) und Mährisch Schönberg. Vorsitzende des VdD ist Gertrude Polčáková. Der Verband zählte anfangs über 600 Mitglieder, ist jedoch im Laufe der Jahre altersbedingt merklich kleiner geworden. Leiterin des Zentrums ist seit 2010 Erika Vosáhlo (*1962). „Das Zusammenleben der Deutschen und Tschechen ist heute überwiegend problemlos. Natürlich findet man immer Menschen, und sogar in allen Altersgruppen, die eine negative Einstellung haben, meist aber zu allem um sich herum“, sagt Vosáhlo.
Der VdD hat ein Haus der Begegnung geschaffen, das für alle Interessierten Treffen, Ausflüge, Seminare oder auch Bücher und Zeitschriften zum Lesen anbietet. Eine Trachtengruppe mit der Tesstaler Tracht hat sich in den vergangenen Jahren gebildet. Sie präsentiert sich bei verschiedenen Veranstaltungen, vor allem bei der Beckengrunder Wallfahrt. Auch in der Ortsgruppe Rokitnitz formierte sich eine Trachtengruppe – „Adlergebirgler“, die Volkslieder bei verschiedenen Veranstaltungen im In- und Ausland vorträgt. Daneben gibt es am BGZ auch eine kleine deutschinteressierte Jugendgruppe, die sich einmal im Jahr trifft und auch verschiedene Veranstaltungen mitgestaltet. Großer Beliebtheit erfreuten sich die jährlich etwa vier bis sechs Deutsch-Wochenendkurse vor allem für Kinder oder Enkelkinder der Mitglieder. Erika Vosáhlo organisierte sie 25 Jahre lang, von 1994 bis 2019. „Eine der wichtigsten Aufgaben ist für uns die Erhaltung der Muttersprache und Mundart, sowie deutscher Kultur und Traditionen“, so Vosáhlo.
Erika Vosáhlo (links) mit einer Jugendgruppe. Foto: BGZ Mährisch Schönberg.
Erhalt des deutschen Kulturerbes
Deshalb kümmert sich das BGZ auch um die Erhaltung und Erneuerung historischer Denkmäler und des deutschen Kulturerbes und arbeitet mit der Bürgervereinigung „Wiederherstellung des Kulturerbes im Tesstal“ zusammen. Außerdem kooperiert das BGZ beim Deutschunterricht oder bei verschiedenen Wettbewerben mit Schulen, pflegt eine Partnerschaft mit dem hessischen Bad Hersfeld und dem dortigen Heimatkreis sowie weiteren Heimatkreisen der Region Altvatergebirge und Adlergebirge.
Von Anfang an dabei ist auch Vosáhlos Mutter, Ingeborg Cäsar (*1936). Als Gründungsmitglied des deutschen Verbands in Mährisch Schönberg kümmerte sich Cäsar vor allem um das Kulturleben und somit auch um den Erhalt des deutschen Kulturerbes in der Region. „Wir veranstalteten Busfahrten zu verschiedenen Sehenswürdigkeiten, folgten Einladungen nach Deutschland und nach Österreich. Beim ersten Weihnachtsfest trug ich deutsche Gedichte vor und spielte die altbekannten Weihnachtslieder“, erinnert sich die heute 85-Jährige. „Leider kannten die Leute aber nur den Text der ersten Strophe. Deshalb stellte ich ein Liederbuch zusammen mit 140 Volksliedern. Bald hatten wir auch einen kleinen Chor mit sechs Sängerinnen, die ich mit dem Akkordeon begleitete“, erzählt sie. Mit ihrem Akkordeon war Cäsar in den letzten Jahrzehnten ein fester Bestandteil der Kulturveranstaltungen am Begegnungszentrum. Sie leitet die Schönberger Ortsgruppe seit 2008, nach dem Ableben ihres Ehemanns und ersten Vorsitzenden H. Cäsar.
Ingeborg Cäsar, Mitbegründerin des Verbands der Deutschen Nordmähren – Adlergebirge. Foto: M. Rommel
Wie sieht die Zukunft des BGZ aus? Vosáhlo wünscht sich, dass das deutsche Kulturerbe in der Bevölkerung präsent bleibt und man die deutsche Geschichte der Region nicht vergisst. „Dazu müssen auch alle Interessierten die Möglichkeit haben, die Deutsche Sprache in der Schule oder bei Kursen zu lernen. Das ist der erste Schritt zur positiven Einstellung zum Deutschtum. Und das ist für die Zukunft sehr wichtig.“
Neugierig geworden? Mehr über das BGZ und die deutsche Minderheit in Mährisch Schönberg erfahren Sie in der Broschüre „Begegnungen. Die deutsche Minderheit in Tschechien“, erhältlich in den BGZ oder zum kostenlosen Download auf der Webseite der Landesversammlung: www.landesversammlung.cz