Auslandserfahrungen sammeln, sei es im Praktikum oder Studium, gehört zur Ausbildung und Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen inzwischen normal dazu. Doch geht das überhaupt noch in Zeiten der Pandemie, die das Reisen über Staatsgrenzen erheblich eingeschränkt hat? Drei junge Menschen berichten von ihren teils dramatischen Erfahrungen und Gefühlen.
Lorena Meusel studiert Pharmazeutische Biotechnologie in Zittau. Eigentlich hätte sie für ihre Masterarbeit in einem Prager Labor forschen sollen, jetzt sitzt sie an ihrem Computer in Zittau.
„Wir haben bei uns im Studium eine Praxisphase, in der man in einem Labor ein eigenes Projekt entwickelt und daran forscht. Eigentlich macht man die eher selten im Ausland, aber weil ich während meines Bachelor-Studiums schon mal in Prag war, bin ich wieder dorthin. Ich bin in der ersten Märzwoche 2020 angekommen und weiß noch, wie wir über die ersten Corona-Fälle geredet haben. Übers Wochenende bin ich nach Zittau gefahren, schaute in mein E-Mail-Postfach und sah da eine Nachricht vom Rektor der Karls-Universität, in der es hieß, dass die Laborpraktika ausgesetzt werden. Weil ich nun nicht ins Labor konnte, machte es auch keinen Sinn, zurück nach Prag zu fahren. Kurze Zeit später hat Tschechien dann ja auch seine Grenzen geschlossen. Und dann saß ich da. Meine Vermieterin in Prag hat mir zum Glück noch meine Sachen nach Deutschland geschickt, weil ich ja gar nicht darauf vorbereitet war, länger weg zu sein. Ich bin am Freitag mit der Erwartung gefahren, Montag wieder da zu sein. Als Tschechien seine Grenzen im Juni wieder öffnete, bin ich zurückgefahren. Noch im Juni hatte ich das Gefühl, super sicher zu sein: Alle haben überall Masken getragen, Abstand gehalten. Dann schnellten die Zahlen in die Höhe und Tschechien wurde von deutscher Seite zum Risikogebiet erklärt. Da bin ich wieder zurück nach Deutschland, weil ich in Prag niemanden hatte, der sich um mich hätte kümmern können, wenn ich krank geworden wäre. Diese Zeit war einfach sehr stressig. In meiner Abschlussarbeit untersuche ich, warum Pflanzen und Wurzeln wachsen. Eigentlich sollte ich schon im August letzten Jahres fertig sein, aber das hat sich durch Corona enorm verzögert und ich musste umdisponieren. Jetzt arbeite ich am Computer mit Modellrechnungen anstatt im Labor zu stehen.
Die Region, in der ich lebe, das Dreiländereck aus Polen, Tschechien und Deutschland, profitiert enorm von offenen Grenzen. Man fährt sonntags zum Einkaufen über die Grenze oder kürzt mit dem Auto Strecken durch Tschechien ab. Das ist für mich einfach schon immer so gewesen. Dinge, über die man nie nachgedacht hat, gehen plötzlich nicht mehr. Schaut man sich die Region Zittau auf der Karte an, liegt sie in der hintersten Ecke Deutschlands, total abgeschottet. In Europa aber liegt sie absolut zentral. Jetzt mit der Grenzschließung wohnen wir halt wieder am Ende von Deutschland und nicht mehr im Zentrum Europas.“
Giada d’Andrea studiert den binationalen Masterstudiengang Internationale Beziehungen in Prag und ab Herbst dieses Jahres in Konstanz. Sie verbrachte die erste und zweite Welle der Pandemie jeweils dort, wo sie in Europa am schlimmsten war: im Frühjahr in ihrem norditalienischen Heimatort und im Herbst in Tschechien.
„Es war schon immer mein Traum, einen doppelten Abschluss zu machen. Während meines Bachelorstudiums in Mailand ging das leider nicht. Um das auszugleichen, habe ich dann aber zweimal Erasmus gemacht, einmal in Frankreich und einmal in Krakau. Für den Master habe ich mich dann entschieden, nach Zentraleuropa zu gehen, einfach weil es hier günstiger ist als an westeuropäischen Universitäten, sie aber trotzdem renommiert sind. Ab September soll ich planmäßig den zweiten Teil meines Masters in Konstanz in Deutschland verbringen. Stand jetzt soll alles klappen, aber es gibt noch viele Unsicherheiten. Die Grenzschließung hat hoffentlich keine Auswirkungen darauf. Die Universität hat uns mitgeteilt, dass internationale Studierende über die Grenze dürfen. Wenn ich nicht nach Deutschland einreisen könnte, wäre das natürlich ein Schock für mich. Es war der Grund, warum ich überhaupt erst nach Prag gegangen bin. Aber um ehrlich zu sein haben mich die Grenzschließungen zwischen Deutschland und Tschechien nicht überrascht. Ich habe es ja vorher schon in Italien erlebt. Die erste Welle der Pandemie habe ich bei meinen Eltern in der Lombardei in Norditalien verbracht und es war wirklich dramatisch: Ich kam im Februar aus Krakau zurück und der Lockdown startete im März. Das war eine unglaublich deprimierende Zeit, weil jeder Tag dem anderen glich und immer nur eine Person von uns das Haus verlassen durfte. Auf der anderen Seite war ich wirklich überrascht vom Zusammenhalten und der Solidarität in der Gesellschaft. In Mailand haben die Menschen auf den Balkonen zusammen gesungen. Mitte September bin ich dann nach Prag gekommen und hatte unglaublich viel Glück, weil sich zwei Wochen danach meine Mutter und meine Schwester zuhause mit dem Virus ansteckten. Hier in Prag – und auch in Italien – sehe ich, dass sich die Menschen im zweiten Lockdown weniger an die Maßnahmen halten als im ersten. Wenn ich zum Beispiel im Supermarkt Menschen sehen, die ihre Maske zwar tragen, aber unter der Nase, dann denke ich mir, dass man es auch gleich lassen kann. Das verstehe ich nicht. Ich finde es sogar respektlos. Warum denkt man, dass man sich selbst nicht an die Regeln halten muss, während alle anderen ihnen folgen?“
Barbora Fischerová studiert Geschichte und Politik des 20. Jahrhunderts in Jena. Eigentlich müsste sie sich dort nur in den Bus setzen und wäre vier Stunden später zuhause in Prag, doch der Verkehr zwischen beiden Ländern war seit der zweiten Grenzschließung fast vollständig eingestellt.
„Ich habe weite Teile meiner Kindheit in Frankreich verbracht, weil mein Vater in Paris als Diplomat arbeitete. Aber in Frankreich waren wir als Tschechen immer die Immigranten und nicht so akzeptiert. Als ich 13 war, sind wir dann wieder zurück nach Prag gezogen, da haben uns die Leute wiederum für zu snobistisch gehalten. Deswegen hatte ich damals eine Art Identitätskrise. Nach dem Abi bin ich sofort wieder zurück nach Frankreich und habe dort erst verstanden, dass ich nie genug französisch oder tschechisch sein werde. Heute sage ich, dass ich Tschechin bin, aber irgendwie auch ein bisschen Französin. Zuletzt habe ich meine Familie in Prag an Weihnachten besucht. Das war für mich ein großes Dilemma, weil ich mich gefragt habe: Bringe ich dadurch mein Studium in Gefahr? Weil ich bei der ersten Grenzschließung im März letzten Jahres nach Tschechien zurückgefahren bin, dann aber mehrere Monate nicht nach Deutschland zurückkonnte. Damals schrieben mir das tschechische Gesundheits- und Außenministerium per SMS, ich solle zurück nach Tschechien kommen. Obwohl ich das eigentlich nicht wollte, aber sie haben dann schon ein wenig Panik gemacht. Die tschechische Feuerwehr ist dann in die Nachbarländer gefahren und hat uns abgeholt. Das war einer der ersten Momente, in dem ich meine tschechische Herkunft nicht negativ gesehen habe. Ich hatte immer Probleme mit dieser Herkunft, aber in dem Moment hatte ich das Gefühl, dass sich das Land um mich genauso kümmert wie um andere Tschechen, und dass ich deswegen endlich dazu gehöre. Eigentlich hatte ich geplant, jetzt zum Geburtstag meiner Mutter wieder wieder in Prag zu sein. Aber wegen der hohen Zahlen werde ich nicht hinfahren. Trotzdem: Für mich macht die zweite Grenzschließung Sinn. Es ist ein bisschen die Antwort auf die tschechische Grenzschließung im März, das hat mich also nicht überrascht. Ich hoffe nur, dass sich die Beziehung zwischen Deutschland und Tschechien bald wieder verbessert. Das war nicht schön, was in den vergangenen Wochen passiert ist. Ich hatte das Gefühl, die tschechische Regierung hat ein wenig versucht, die Schuld auf die Deutschen zu schieben und aus Stolz wollte sie die deutsche Regierung erst nicht um Hilfe bitten. Wenn ich mit meinem Studium fertig bin, würde ich auch gerne im internationalen Bereich arbeiten, zum Beispiel in den deutsch-tschechischen Beziehungen.“