„Guten Tag, wir haben uns gerade daran erinnert, dass es Sie gibt!“, erklärt ein Politiker auf der Straße großzügig einer älteren Frau und gibt ihr ein Flugblatt. Also gut, er hat eigentlich etwas ganz anderes gesagt. Aber er hätte das genauso gut sagen können. Ja, es stehen mal wieder Wahlen ins Haus. Und Wahlkampf gilt im Sudetenland als Fünfte Jahreszeit. Verrückter geht es da bei uns nur zu, wenn irgendwo Hochwasser herrscht.
Wahlen also. Der Grundstein der Demokratie. Nach vier Jahren haben wir endlich wieder die Möglichkeit die Schiedsrichter zu wählen, die entscheiden, wie bei uns gespielt wird. Leider gibt es in diesem Jahr nur Kreistagswahlen. Was sie in den Augen der Politiker wie auch der engagierten Öffentlichkeit keinesfalls weniger wichtig macht. Aufs Blut gestritten wird nämlich trotzdem.
Kreistagswahlen kommen mir ein bisschen so vor wie der Versuch, selbst einen kaputten Fernseher zu reparieren. Ich habe zwar das Gefühl, dass ich etwas machen sollte, dass ich etwas machen muss. Aber eigentlich weiß ich gar nicht, wie es geht. Was macht der Kreis Aussig? Da gibt es genug, die antworten, dass sie es nicht wissen. Die Philosophen sagen, der Kreis existiert. Ein paar andere sagen, sie wissen zwar nicht, was der Kreistag macht, sie wollen aber auf keinen Fall, dass dort die Kommunisten weitermachen wie bislang. „Der Kreis ist verantwortlich für die Mittelschulen, Krankenhäuser und kümmert sich um die Straßen und so“ meint schnell ein belesen aussehender Mann, der sich dann als Gemeinschaftskundelehrer entpuppt.
Besonders ereignisreich hört sich das alles jedenfalls nicht an. Warum also wollen so viele Leute in den Kreistag? Na, weil da das Geld liegt. Und weil niemand den Regionalpolitikern so genau auf die Finger guckt. Da reicht es nämlich schon nett zu lächeln und zweimal pro Woche irgendein Band durchzuschneiden oder einen Kindergarten zu besuchen. Und schon ist der Weg frei, seine Kumpels in gutbezahlte Positionen zu hieven und anderen öffentliche Aufträge und Subventionen zuzuschustern. Und das können wir in Sudetistan wirklich gut.
Ein besonderes Phänomen dieser Wahlen sind islamkritische Anti-Flüchtlingsbewegungen. Verständlich, wir leben wahrlich in schweren Zeiten und sind großen Gefahren ausgesetzt. Immerhin hat die tschechische Polizei seit Beginn dieses Jahres 411 Flüchtlinge erfasst. Dafür verspricht uns jetzt jeder zweite Kreistagskandidat, dass er der illegalen Migration ein Ende setzt. Das einzige was der in der Funktion stoppen könnte, ist der Verkehr auf Landstraßen dritter Klasse; da reicht es, wenn man sie im Winter nicht räumen lässt. Allerdings sind die über 3000 Kandidaten, die auf die anti-Flüchtlingskarte setzen so lächerlich, dass sie selbst in Sudetistan kaum eine Chance haben, gewählt zu werden.
Aber es kommt von allen Seiten auf uns zu. Ob in Rumburg, Klösterle oder dem verlassenen Zinnwald. Vor den Wahlen gibt es kein Entkommen. Die retuschierten Gesichter der verschiedenen Kandidaten mit ihren unnatürlich weißen Zähnen blicken überall auf uns, wohin wir auch gehen. Der Briefkasten quillt über vor Flugblättern, in den Kommunalblättern rühmt sich indes der Bürgermeister, der zufällig auch kandidiert, all dessen, was er so alles schon geschafft hat oder schaffen will. Der kommunistische Kreishauptmann bekommt indes ein Vorwort im Schulbuch, auch wenn er dort nichts zu suchen hat. Um die fünf Millionen Kronen kostet seine Kampagne mit dem Ziel „eine Beziehung zu den Vertretern des Kreises Aussig aufzubauen“. Die beste Wahlkampagne ist immer die, die sich aus öffentlichen Geldern finanziert.
„Guten Tag, wir haben uns daran erinnert, dass es Sie gibt!“ könnten auch die Politiker aus dem tschechischen Parlament in Prag sagen, die versuchen ihre Kollegen in den Regionen mit ihren Besuchen zu unterstützen. Plötzlich werden deren Probleme auch in Prag interessant. Aber keine Bange, eine Woche nach den Wahlen wird in der Hauptstadt niemand mehr auf Mails oder Anrufe aus den Kreisen reagieren.
So eine Wahlkampagne ist aber auch für Politiker sehr anstrengend. Stellen Sie sich nur vor: Jeden Tag auf irgendeinem Platz rumstehen, Würstchen, Luftballons oder Krapfen verteilen. Gespräche mit den Wählern führen. Man muss sich schon fragen, wie die das durchstehen. Man muss halt leiden für seine Funktion.
Liebe Freunde, wir stecken da gemeinsam drin und werden es irgendwie überstehen. Flugblätter sind doch klasse zum Basteln. Oder um den Grill anzuwerfen. Über Luftballons freut sich jedes Kind und die Internetwerbung kann man abschalten. Ob wir allerdings auch die überstehen, die in Sudetistan gewählt werden, kann ich Ihnen nicht versprechen.
Dominik Feris Kolumne „Im wilden Sudetistan“ finden Sie jeden Monat exklusiv im LandesEcho und auf landesecho.cz . Dieses Feuilleton erschien im LandesEcho 9/2016. Der Autor (20) ist nordböhmischer Patriot und Stadtrat in Teplice (Teplitz-Schönau). Er studiert Jura an der Prager Karlsuniversität.
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