Seit 17 Jahren lebt und wirkt Philipp Irmer in einer nordböhmischen, einst von Deutschen bewohnten Wallfahrtsgemeinde. Der aus dem Münsterland stammende Priester wird während der Ostertage notgedrungen in einer leeren Kirche mit seinen Gläubigen im Gebet verbunden sein. Seinen Optimismus lässt er sich jedoch auch vom Coronavirus nicht nehmen.
Dass etwas ins Stocken geraten kann, ist für Philipp Irmer eine Erfahrung, die er in den vergangenen 17 Jahren schon häufig erlebte. Sein Leben in dieser Zeit als katholischer Priester in der kleinen nordböhmischen Gemeinde Maria Ratschitz (Mariánské Radčice) unterscheidet sich grundsätzlich von dem, was der gebürtiger Münsterländer vorher kannte. „Das einzige, was gleich ist, sind die Gottesdienste“, erklärt das kräftig gebaute Mannsbild, das 2003 mit einer Riesenportion Optimismus und Tatendrang aufbrach, um wieder katholisches Leben in einen der ältesten böhmischen Wallfahrtsorte zu tragen. Die zum Zisterzienser-Kloster Osek gehörende Wallfahrtskirche zur Schmerzhaften Mutter Gottes liegt in einem Gebiet, das zu den säkularisiertesten ganz Europas gehört.
„Nichts ist mehr wie vorher“
Das, was Irmer in Corona-Zeiten erlebt, da ganz Tschechien unter Quarantäne steht, ist mehr als ein bloßes Stocken. „Es ist eine Vollbremsung. Nichts ist mehr wie vorher. ‚Bleib zuhause‘ lautet die Devise. Dieses Virus hat uns voll im Griff. Fallzahlen über Infizierte und Tote, drastische Schutzmaßnahmen und ständige Aktualisierungen laufen sich den Rang ab. Das öffentliche Leben befindet sich in einem Ausnahmezustand“, sagt der Priester im LE-Gespräch.
Das ist in den Kar- und Ostertagen besonders schmerzhaft für ihn. Die Gottesdienste sind normalerweise gerade da sehr viel besser besucht als sonst. In diesem Jahr wird es keine für die Gläubigen geben. „Ich bin da vergleichsweise privilegiert, kann die Tage in meiner Kirche begehen, wenn auch nur im kleinsten Kreis mit meinem Diakon“, sagt Irmer.
Freilich sei es ihm immer egal gewesen, vor zwei oder zweihundert Katholiken zu predigen. „Der Aufwand für die Predigt unterscheidet sich ja nicht. Und wenn man eine Messe in einer Kirche wie der meinen zelebriert, weht da immer auch ein Hauch der Geschichte. Ich denke daran, wie viele Tausende Gläubige hier in vorangegangen Zeiten im Gebet vereint gewesen sind. Daraus ziehe ich Kraft.“ Er selbst werde keinen Gottesdienst über soziale Medien übertragen. „Ich habe keine Mittel dafür. In Tschechien gibt es zudem die Möglichkeit, sich heilige Messen im Fernsehen anzusehen.“
„Die Deutschen gehen demokratischer mit Corona um“
Die Tschechen würden sehr viel anders mit Corona umgehen als die Deutschen, findet Irmer. „In Deutschland wird – schon wegen des Föderalismus – sehr viel mehr über die Art der Krisenbewältigung debattiert, sehr demokratisch. Die Tschechen schauen vergleichsweise gebannt zu ihrer Regierung auf, halten ihren Premier für eine Art Propheten, der alles schon irgendwie für sie richten wird. Sie fragen kaum nach, ob Einschränkungen tatsächlich Sinn machen.“ Aber, so fügt er hinzu: „Es gab auch falsche Propheten“.
Spätestens an diesem Punkt wird ihm immer mal wieder seine Sozialisierung in Deutschland bewusst. Ansonsten fühlt er sich pudelwohl in seiner Wahlheimat. Er sei hier gut angenommen worden, nie als „Deutscher“ stigmatisiert gewesen im früheren Sudetenland. „Leute, die ein Problem hätten haben können und alles übers Nationale regeln wollen, sind mir aus dem Weg gegangen, als ich hierher kam. Und was stört es eine münsterländische Eiche, wenn sich ein Wildschwein an ihm reibt?“
Damals gab es zwischen ihm und den Tschechen auch noch die Sprachbarriere. Heute spricht Irmer fließend Tschechisch, kann so auch in die tschechische Seele eindringen. „Wenn man mit den Tschechen Bier statt Messwein trinkt, kommt man sich besonders nahe, spätestens mit zwei Promille“, lacht der Priester, der locker zugibt, dass es ihm in Tschechien hilft, dass er auch weltlichen Dingen nicht abgeneigt sei. Bei zahlreich ausgerichteten Festen hat er Handwerker für die Arbeiten an der Kirche gefunden, Förderer überhaupt.
Welche Antwort gibt Ostern auf Corona?
Die Zwangsaussiedlung der Deutschen nach dem Krieg, vor allem die vor 75 Jahren begonnene „wilde Vertreibung“, sei in seiner Arbeit natürlich präsent. „Aber im Alltag spielt das keine Rolle, zumal die Erlebnisgeneration schon vor Corona zunehmend heimgeholt worden ist.“ In der Nähe seiner Kirche gebe es eine Tafel, auf der den Sowjets für die Befreiung gedankt werde. „Bei Lichte besehen sind die Tschechen damals aber vom Regen in die Traufe gekommen“, setzt er mit Blick auf die folgende, Jahrzehnte lange Zugehörigkeit des Landes zum Moskauer Einflussgebiet hinzu.
Gibt Ostern eine Antwort darauf, wie man mit Corona umgehen kann? Auch wenn kirchliches Leben in Liturgie, in der Nächstenliebe und im gemeinsamen Bekenntnis diesmal hinter verschlossenen Türen stattfinde, gelte: „Ostern bleibt das große Fest unseres Lebens, ist und bleibt Gottes Antwort auf Krankheit, Leiden und Tod. Im Leiden und Sterben Jesu Christi hat Er den Tod für uns besiegt. In der Auferstehung hat Er das Leben für uns neu geschaffen. Glauben wir das?“ Seine Antwort auf Jesu Frage, so Pfarrer Irmer, sei seine Arbeit in Nordböhmen.