Die geringste Arbeitslosigkeit in der EU ist für Tschechien nur statistisch angenehm. Die Wirtschaft wird dadurch ausgebremst. Jetzt will die Regierung das Arbeitslosengeld kürzen, damit offene Stellen schneller besetzt werden.

Qualifizierte Arbeitslose sind in Tschechien ein begehrtes Gut. Firmen kämpfen um jeden, den sie bekommen können. Sie locken mit Wohnungen, Firmenwagen, die auch privat genutzt werden können, Jahres-Abos für das nächstgelegene Fitnesszentrum oder extra Urlaubs- und Weihnachtsgeld.

Seit Jahren hat Tschechien die geringste Arbeitslosenrate innerhalb der Europäischen Union. Nach offiziellen Angaben der tschechischen Republik liegt sie derzeit bei 3,5 Prozent. Nach etwas anderen EU-Berechnungen bei gar nur 2,1 Prozent. Das gilt quasi schon als Vollbeschäftigung.

Doch einen Blumentopf können sich die Tschechen für diese hübsche Statistik nicht kaufen. Wirtschaftsexperten sind alles andere als begeistert über den langanhaltenden Zustand. Viele Firmen müssen nämlich wegen mangelnder Arbeitskräfte längst eigentlich sonst hoch willkommene Aufträge ablehnen. Das bremst die tschechische Wirtschaft zunehmend aus.

Arbeits- und Sozialminister will Leistungen kürzen

Jetzt gibt es in der noch jungen liberal-konservativen Regierung in Prag Überlegungen, die letzten Reserven auf dem Arbeitsmarkt zusammenzukratzen – mit einer Kürzung des Arbeitslosengeldes. Sie soll die Menschen animieren, sich ernsthafter und rascher als bisher um eine Arbeitsstelle zu bewerben. „Die Zahl der offenen Stellen übersteigt die der Arbeitslosen deutlich“, klagte der Minister für Arbeit und Soziales, Marian Jurečka (KDU-ČSL), am Sonntag im Fernsehen. Jurečka ist Christdemokrat, seine Partei gilt in der Fünf-Parteien-Koalition eigentlich als das „soziale Gewissen“.

Der Minister weiß natürlich, dass im benachbarten Deutschland mit dem neuen Jahr das Bürgergeld eingeführt wird, das Arbeitslosen mehr Geld bringen soll. Und er weiß auch, dass viele Tschechen für deutsche Firmen arbeiten, vergleichen und gern das dortige Sozialniveau hätten. Auch wenn das noch länger ein Traum bleibt.

„Ich verstehe, dass Arbeitslose Unterstützung beim Arbeitsamt für ein, zwei, drei Monate erhalten. Und ich habe eigentlich keine Ambitionen, irgendwelche Kürzungen vorzunehmen. Aber man muss sich anschauen, dass es Leute gibt, die schon lange ohne Arbeit sind“, sagte der Minister.

Unterstützung von Lebensalter und Dauer der Arbeitslosigkeit abhängig

Tschechen, die ihre Arbeit verlieren, sind schon jetzt nicht eben auf Rosen gebettet. Die finanzielle Unterstützung wird nach Lebensalter und Dauer der Arbeitslosigkeit gewährt. Bis zum 50. Lebensjahr erhält man fünf Monate Arbeitslosengeld, zwischen dem 50. und dem 55. Lebensjahr acht Monate, Ältere bis zu elf Monate. Im ersten und zweiten Monat gibt es 65 Prozent des letzten Netto-Einkommens, im dritten und vierten Monat 50 Prozent und danach 45 Prozent. Arbeitslosenhilfe gibt es nicht. Bei wem das Arbeitslosengeld ausläuft, der fällt unter die deutlich schmalere Sozialhilfe. Eigentlich sind das Bedingungen, die jeden Betroffenen schon jetzt zwingen, sich so schnell wie möglich um eine neue Arbeit zu kümmern.

Die Regierung plant nun, künftig die Unterstützung für Arbeitslose zu reduzieren. In welchem Umfang, ist noch nicht klar. Die Einschränkung soll für diejenigen Betroffenen gelten, die länger als drei Monate beim Arbeitsamt gemeldet sind. Diese Maßnahme soll dem Staatshaushalt jährlich Hunderte Millionen Kronen einsparen. Ob sie jedoch auch den arbeitsmarktpolitischen Effekt haben werden, muss abgewartet werden.

Kritische Töne auch aus der Regierungskoalition

Der Arbeits- und Sozialminister stößt mit seiner Idee bereits auf Widerstand. Selbst innerhalb der Regierungskoalition. Dort haben die Bürgermeisterpartei STAN und die Piraten Vorbehalte gegen Jurečkas Plan angemeldet. „Im Zeiten der Ungewissheit und einer nahenden Krise ist es notwendig, die Menschen zu unterstützen, anstatt die mögliche Ungewissheit zu vertiefen“, antwortet beispielsweise Olga Richterová von den Piraten auf den Vorschlag.

Die Oppositionsbewegung ANO des früheren Premiers Andrej Babiš warnt ebenso vor Einsparungen bei den Leistungen für Arbeitslose. Sie erinnert daran, dass einige Unternehmen wegen der Energiekrise Entlassungen ab Anfang nächsten Jahres planen. Das sei kein guter Zeitpunkt, Leistungen für Menschen zu kürzen.

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