Die CDU mit Ministerpräsident Michael Kretzschmer hat viel zu verlieren, Foto: Steffen Neumann

In Deutschland richten sich die Blicke am Sonntag auf die Bundesländer Brandenburg und Sachsen. Denn die Alternative für Deutschland (AfD) steht vor dem größten Erfolg seit ihrer Gründung vor sechs Jahren. Erstmals könnte sie stärkste Kraft in einem Bundesland werden. Der Osten wählt anders, heißt es wieder einmal. Das weckt großes Interesse auch in Tschechien.

Seit Wochen hängen in Sachsens und Brandenburgs Städten und Gemeinden Wahlplakate. Nach einem intensiven und bürgernahen Wahlkampf wie wohl noch nie seit 1990 gehen die Wähler am Sonntag an die Urnen. Vor allem die vielen blauen Plakate der AfD waren in den letzen Wochen kaum zu übersehen. Mit Aufschriften wie „Vollende die Wende“ oder „Wende 2.0“ thronen sie nicht selten ganz oben über den Wahlplakaten der anderen Parteien.

Droht dem Osten ein blaues Wunder?

Seit 1990 wurden die Christdemokraten (CDU) bei allen Landtagswahlen in Sachsen stärkste Kraft und regierten die letzten fünf Jahre in einer Koalition mit den Sozialdemokraten (SPD). Das könnte sich nun ändern. Aktuellen Umfrageergebnissen vom 22. August zufolge ist es wahrscheinlich, dass die AfD zweitstärkste Kraft im sächsischen Landtag wird. Eine Koalition aus SPD und CDU wäre dann nicht mehr möglich, eine Koalition mit der AfD hat die CDU aber explizit abgelehnt.

Sachsen Ltw19 Laternenmast voll mit Wahlplakaten der AfD Bildrechte Steffen Neumann

Ähnliche Veränderungen stehen auch in Brandenburg an. Dort wurden bei allen Landtagswahlen seit der Wende 1989 stets die Sozialdemokraten stärkste Kraft und stellten damit auch den Ministerpräsidenten. Seit zehn Jahren regieren sie in einem rot-roten Bündnis mit der Linkspartei. Auch hier könnte sich mit der Wahl am Sonntag einiges verändern. Die Prognosen für Brandenburg sagen, ähnlich wie für den Freistaat Sachsen, einen Stimmenzuwachs für die AfD voraus. Beide liegen demnach gleichauf. Sowohl in Sachsen als auch in Brandenburg kann die AfD den Prognosen zufolge auf etwa ein Viertel der Stimmen hoffen. Das wird die Bildung neuer Regierungen erheblich erschweren. In beiden Ländern werden künftig Bündnisse aus mindestens drei Parteien nötig sein. Während sich in Brandenburg SPD, Linke und Grüne aufgrund der programmatischen Nähe leicht zusammenfinden dürften, wäre ein Koalition aus CDU und Grünen in Sachsen ein Novum. Auch hier müsste für die erforderliche Parlamentsmehrheit noch die SPD als dritter Partner hinzustoßen. Und ein Dreierbündnis hat es in Sachsen noch nie gegeben.

Interesse aus dem Nachbarland

In Tschechien stößt der Wahlkampf und die Wahlen auf reges Interesse . Beinahe alle großen Medien berichteten umfassend und warteten mit teils längeren Reportagen und Analysen auf. Die Tageszeitung Hospodářské noviny widmete den Wahlen mit einer Reportage fast eine ganze Seite. Die Zeitschrift Respekt war ebenfalls mit einem Kollegen vor Ort.

Viel Platz räumte das Online-Medium aktuálně.cz einer umfangreichen und präzisen Analyse des Publizisten Petr Fischer ein. Die AfD, beobachtete Fischer, spiele mit dem Ressentiment der „friedlichen Revolution“ und nutze die mit ihr verbundenen Emotionen aus – Hoffnung und die spätere Enttäuschung. Die AfD verspreche vor allem eine gerechte Demokratie und wenn die Ostdeutschen AfD-Wähler eines fühlten, dann sei es eben jene Ungerechtigkeit, so Fischer.

Fischer geht aber noch weiter und widmet sich der Frage, warum ausgerechnet diese Landtagswahlen im Osten Deutschland in Tschechien so ein großes Interesse hervorrufen. Fischer sieht in dem Aufstand der Ossis Parallelen zur Entwicklung in Tschechien in den letzten 20 Jahren. Man habe zwar keine Wiedervereinigung mit einem starken wirtschaftlichen Partner gehabt. Aber auch in Tschechien wurde die Begeisterung nach der samtenen Revolution schon bald von einer tiefen Enttäuschung über die neue Politik abgelöst. In Tschechien hätten in letzter Zeit ähnliche politische Bewegungen Erfolg. Dazu gehört die rechtspopulistische „Freiheit – direkte Demokratie“ (Svoboda a přímá demokracie, kurz: SPD) mit dem Vorsitzenden Tomio Okamura. Bei den Parlamentswahlen 2017 wurde seine Partei mit 10,6% viertstärkste Kraft.

Eine Radikalisierung der politischen Landschaft findet demnach sowohl in Tschechien als auch in Deutschland statt. Eins eint viele Wähler der rechtspopulistischen Parteien in beiden Staaten: Der Verlust an den Glauben, dass die Demokratie als politisches System, in dem man die letzten 30 Jahre gelebt hat, soziale Gerechtigkeit hervorbringen kann.


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