Die Tschechische Republik liegt im Gleichstellungsindex 2022 auf Platz 23 von 27 EU-Ländern. In den letzten zehn Jahren haben sich die Ungleichheiten vergrößert.

Das größte Problem in der Tschechischen Republik sind laut des vom Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) erstellten Indexes das Fehlen von Frauen in Entscheidungspositionen und die Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt.

Der Index basiert auf mehr als 30 Indikatoren, die in eine Punktzahl umgerechnet werden, wobei der höchste Wert 100 ist. Die Tschechische Republik erzielte nur 57,2 Punkte. Der EU-Durchschnitt liegt dagegen bei 68,6. Am besten schnitt Schweden, am schlechtesten Griechenland ab. Der Gleichstellungsindex wird seit zehn Jahren erstellt und berücksichtigt sechs Kategorien: Arbeit, Geld, Bildung, Zeit, Macht und Gesundheit. Jede Kategorie setzt sich aus einer unterschiedlichen Anzahl von Indikatoren zusammen.

Tschechien machte in Sachen Gleichstellung in den letzten zehn Jahren den langsamsten Fortschritt aller Mitgliedstaaten. Er lag 3,9 Punkte unter dem EU-Durchschnitt. Dadurch fiel die Tschechische Republik in der Rangliste um zehn Plätze zurück. Mit dem Rückschritt in der Gleichstellung befasst sich derzeit die Beauftragte der tschechischen Regierung für Menschenrechte Klára Šimáčková Laurenčíková. Sie hält es für wesentlich, die Gleichstellung der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt zu fördern. Die Regierung habe bereits einer Bevorzugung von Teilzeitbeschäftigten und dem schnelleren Bezug von Elterngeld zugestimmt. Jetzt sei es wichtig, eine ausreichende Anzahl von Plätzen in Kindergärten und Kindergruppen sicherzustellen und eine schnellere Rückkehr aus der Elternzeit zu ermöglichen.

Warum ist Armut eine Geschlechterfrage?

Die durchschnittliche Beschäftigungsquote der Frauen in Tschechien ist immer noch niedriger als die der Männer: 32 Prozent der Frauen sind in Teilzeit beschäftigt; bei Männern hingegen sind es nur 8 Prozent. Zudem sind Frauen in Sektoren überrepräsentiert, die in der Regel weniger gut bezahlt sind und nur begrenzte Karrieremöglichkeiten oder langsames Lohnwachstum bieten.

Gegenwärtig bedrohen vor allem der Anstieg der Energie-, Dienstleistungs- und Warenpreise sowie die Energiearmut und die Inflation im Allgemeinen die Haushalte mit niedrigem Einkommen, vor allem alleinerziehende Mütter und ältere Frauen. Die Einkommensarmut ist von 9 Prozent Ende 2021 auf aktuell 16 Prozent im Mai 2022 gestiegen. Am stärksten gefährdet sind ältere Frauen, die einem dreimal höheren Armutsrisiko ausgesetzt sind als ältere Männer, sowie alleinerziehende Mütter und Väter. Allerdings sind es Frauen, die 90 Prozent der Alleinerziehenden ausmachen.

Nach Ansicht der EU sei die ungleiche Stellung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt vor allem auf Betreuungs- und andere familiäre Pflichten zurückzuführen. So kümmern sich in der Tschechischen Republik 33 Prozent der Frauen um die Kinderbetreuung; bei den Männern sind es nur 20 Prozent. Für die Hausarbeit sind 67 Prozent der Frauen gegenüber 16 Prozent der Männer zuständig.

Kindergärten für nur sechs Prozent der Kinder

Bei den Einrichtungen für Kinder bis zu drei Jahren, also Kindergärten, Krippen oder Spielgruppen, hat die Tschechische Republik EU-weit den niedrigsten Anteil: Laut Radan Šafařík, Direktor der Abteilung für Gleichstellung, besuchten nur sechs Prozent der Kinder in Tschechien Kindergärten, Krippen oder Spielgruppen, während der europäische Durchschnitt bei 36 Prozent liege. In einigen Ländern wie Dänemark, Niederlande oder Luxemburg liege der Anteil sogar bei über 60 Prozent. Dies wirke sich dann auf alle anderen Aspekte aus, die zu Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt führen.

Arbeitgeber bieten nur ein Minimum an Teilzeitstellen an. Derzeit arbeiten acht Prozent der Frauen und vier Prozent der Männer auf diese Weise. Allerdings fügte Šafařík hinzu, dass die Regierung vor kurzem eine Leistung für Teilzeitbeschäftige genehmigt hätte, so dass die Arbeitgeber für Teilzeitbeschäftigungen etwas höhere Nachlässe bei den Sozialbeiträgen erhalten werden. Laut Laurenčíková werde auch eine Änderung des Arbeitsgesetzes diskutiert, die ein Recht auf Homeoffice einführen würde, sofern nicht schwerwiegende betriebliche Gründe dagegensprechen.

Trotz Verbesserungen immer noch großer Unterschied

In der Tschechischen Republik ist in mehreren Bereichen eine leichte Verbesserung zu verzeichnen, beispielsweise seit 2010 im Lohnbereich: Im Jahr 2021 verdienten Frauen im Durchschnitt 16,4 Prozent weniger als Männer. Im Jahr 2015 betrug der Unterschied noch 22,5 Prozent. Allerdings betont Šafařík, dass trotz des Lohnzuwachses Frauen immer noch rund 6000 Kronen (ca. 246 Euro) pro Monat weniger verdienen würden.

Laut Šimáčková Laurenčíková ist der Lohnzuwachs vor allem auf einen leichten Anstieg der Gehälter in weiblich geprägten Sektoren wie dem Hilfspersonal in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen zurückzuführen. Auch die Vertretung von Frauen in der Politik hat leicht zugenommen. Sowohl bei den Wahlen zur Abgeordnetenkammer im Jahr 2021 als auch bei den Kommunalwahlen im Jahr 2022 war der Anteil an Frauen so hoch wie nie zuvor. 25 Prozent der Frauen wurden ins Repräsentantenhaus gewählt, 29 Prozent der Frauen in Gemeinderäte.

Zunahme von häuslicher Gewalt während der Pandemie

Der Index untersucht keine Daten zu häuslicher und sexueller Gewalt. Während der Pandemie ging die Zahl der Meldungen jedoch zurück und war 2021 so niedrig wie nie zuvor. Dies zeigte sich auch am Beispiel des Straftatbestands der Misshandlung einer in einer Wohngemeinschaft lebenden Person. Obwohl misshandelte Frauen oder Männer sich nicht an die Polizei wandten, stieg während der Pandemie andererseits die Nachfrage nach Dienstleistungen von gemeinnützigen Organisationen. „Die Zahl der Anrufe, der Nutzung von Krisentelefonen und Beratungen stieg um dreißig Prozent. Aber aus irgendeinem Grund hat es das nicht in die offizielle Statistik geschafft", so Šafařík.

Zudem erhielten Betroffene, die während des Lockdowns in schwierige Situationen gerieten, oft keine angemessene und vor allem konsequente Hilfe. „Die Situation der Opfer wird oft an jedem Ort anders bewertet“, erklärten Blanka Nyklová vom Institut für Soziologie der Akademie der Wissenschaften und Dana Moree von der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität.

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