Foto: Altstädter Ring - Bild: Commons/Tiia Monto, crop von LE, CC BY-SA 4.0

Präsident Zeman und Prags Erzbischof Duka lehnen Flüchtlinge gleichermaßen ab. Zeman dekoriert Duka dafür mit einem Orden. Ein Holocaust-Überlebender geht leer aus.

Unter den Fanfaren aus Smetanas Oper „Libuše“ betritt Tschechiens Staatspräsident Miloš Zeman langsam, auf einen Stock gestützt, den ehrwürdigen gotischen Vladislav-Saal der Prager Burg. Die Gäste erheben sich von ihren Stühlen. Zeman grüßt mit freundlichem Nicken den einen oder anderen Gast auf dem langen Weg zu seinem Platz. 

 

Es ist Freitagabend, Tschechien begeht seinen höchsten Nationalfeiertag – den der Gründung der 1993 verblichenen Tschechoslowakei im Jahre 1918 – mit dem üblichen Festakt. Verdiente Bürger werden da ausgezeichnet. Niemand wundert sich, dass an einen Staat erinnert wird, der längst nicht mehr existiert. Tschechien sieht sich in der Tradition der Tschechoslowakei. Die Slowaken gedenken des Tages zwar noch; ein Feiertag ist es bei ihnen jedoch nicht.

 

Die Regie der Prager Burg hat an diesem Abend gut funktioniert: Kein Platz ist leer geblieben. Mitarbeiter der Burg haben sich in Schale geworden und die leeren Plätze besetzt. Das Fernsehen überträgt live. Da machen sich leere Plätze nicht so gut. Sie könnten belegen, wie zerrissen Tschechien an diesem Feiertag ist.

 

Zahlreiche Eingeladene sind der Feststunde gezielt fern geblieben. So ist etwa nicht ein Mitglied der christdemokratischen Regierungspartei KDU-ČSL erschienen. Auch die Rektoren der Universitäten ließen sich entschuldigen, Künstler und selbst geistliche Würdenträger wie der neue Bischof von Pilsen (Plzeň), Tomáš Holub, der frühere Prager Erzbischof  Kardinal Miroslav Vlk und der geachtete und international geehrte Theologe und Soziologe Tomáš Halík.

 

Sie sind zur selben Zeit auf einer alternativen Feier auf dem zentralen Prager Altstädter Ring. Mit zehntausenden anderen Pragern.

 

Der Grund: Unter den Auszuzeichnenden auf der Prager Burg ist in letzter Minute einer gestrichen worden: der Tschecho-Kanadier Jiří (George) Brady. Er hat das Konzentrationslager Theresienstadt und das Vernichtungslager Auschwitz überlebt und ist nach dem Krieg nach Kanada emigriert. Anfang der Woche kam der 88-Jährige mit seiner Ehefrau nach Prag, weil er geehrt werden sollte, wie vorher schon von Königin Elisabeth oder dem deutschen Bundespräsidenten.

 

Gestrichen wurde Brady wohl, weil sein Neffe – der Theologe und heutige tschechische christdemokratische Kulturminister Daniel Herman – dieser Tage offiziell den Dalai Lama in Prag empfangen hat. Herman sieht sich in der Beziehung zum geistlichen Oberhaupt der Tibeter in einer Traditionslinie mit dem vor knapp fünf Jahren verstorbenen Präsidenten Václav Havel. Der Dalai Lama war Havels persönlicher Freund.

 

Auf einem Empfang soll Präsident Zeman den Kulturminister gewarnt haben: Sollte er den Dalai Lama treffen, würde sein Onkel von der Liste der Auszuzeichnenden kurzerhand gestrichen werden. So erzählt es der Minister, der für das Gespräch auch Zeugen angab, die sich jedoch nicht erinnern können oder wollen oder einfach nicht richtig zugehört haben. 

 

Es gibt aber auch reichlich andere Belege für die Darstellung des Ministers. Fakt ist, dass alle protokollarischen Absprachen mit der Ehefrau von Brady für die Katz waren. Der Tomáš-G.-Masaryk-Orden für Brady blieb in der Schublade.

 

Mehr noch: Zeman vergatterte die anderen drei höchsten Politiker des Landes, den Premier und die Chefs der beiden Kammern des Parlaments, dazu, eine gemeinsame Erklärung des Bedauerns gegenüber Peking zu unterzeichnen. Zuvor hatte die chinesische Botschafterin in Prag auf der Burg ihr tiefes Missfallen gegenüber dem Treffen des Kulturministers mit dem Dalai Lama zum Ausdruck gebracht.

 

Zeman hat mit der Havel’schen Menschenrechtspolitik gebrochen und setzt verstärkt auf gute Geschäfte mit China. Er selbst war schon zweimal in China, Ostern begrüßte er den chinesischen Staatschef mit großem Pomp an der Moldau. Die Polizei ging seinerzeit gegen Tschechen vor, die Tibet-Fahnen gehisst und auf die Menschenrechtsverletzungen in China verwiesen hatten. Es hatte also eine gewisse Logik, dass Zeman den Holocaust-Überlebenden bei der Auszeichnung leer ausgehen ließ. 

 

Er zeichnet dafür am Freitagabend Leute aus, die zu ihm stehen. Etwa den Erzbischof von Prag, Kardinal Dominik Duka, der in den vergangenen Monaten –  entgegen mehrerer Aufrufe des Papstes – gegen die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und Nordafrika wettert, weil die nicht nach Tschechien passten und die christlich-abendländische Kultur des Landes zerstören würden. Diese Parole hatte zuvor wortgleich Zeman bei jeder Gelegenheit vorgebetet. Und so verleiht er dem Kardinal den höchsten Orden des Landes, das ansonsten wie kein anderes in Europa – mit Ausnahme der früheren DDR – derart säkularisiert ist und mit Gott herzlich wenig am Hut hat. 

 

Dass auch mehrere katholische Würdenträger diesem Spektakel lieber fernbleiben wollen, hat natürlich mit dem Papst zu tun, der die Dinge deutlich anders sieht als sein tschechischer Stellvertreter Duka im Erzbischöflichen Palais auf dem Hradschin, gleich neben der Prager Burg. 

 

Diejenigen, die sich mit Zemans pro-chinesicher Haltung nicht abfinden wollten, treffen sich am Freitagabend auf dem Prager Altstädter Ring. Wissenschaftler, Künstler, Politiker, Zehntausende Prager. Sie feiern alternativ. Und sie feiern den anwesenden, von der Auszeichnungsliste gestrichenen Jiří Brady, der bei dieser Gelegenheit gleich auch eine andere Medaille ans Revers geheftet bekommt. Es ist nicht die einzige, mit der er nach Kanada zurückfahren wird. Nur die des Präsidenten wird in der reichen Sammlung fehlen. „Das kann ich verschmerzen“, sagt der 88-Jährige. 

 

Aus der Präsidialkanzlei heißt es angesichts der Proteste, dass man Brady ja zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal ehren könnte. Doch da winkte der rüstige Mann bereits ab. Er lege keinen Wert auf einen Orden aus den Händen dieses Präsidenten mehr.

 

Die Redner auf der alternativen Feier haben indes alle nur ein Thema: Sie rufen die Tschechen auf, die Demokratie und die Westausrichtung des Landes gegen Präsident Zeman zu verteidigen. Der Beifall der Zehntausende erklingt deutlich stärker als der im Vladislav-Saal der Prager Burg.

 

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