Als ich zum ersten Mal vor drei Jahren für einen Freiwilligendienst nach Tschechien kam, waren das Land und seine Sprache noch sprichwörtliche böhmische Dörfer für mich. Mit der Zeit hat sich das geändert, doch es war ein langer Weg bis an den Punkt, an dem ich heute stehe.

 

Ich gebe es zu: Ich hätte mich auf diesen zwölfmonatigen Aufenthalt mit einem Sprachkurs vorbereiten sollen. Wie es sich aber für einen Abiturienten im Endstadium seiner Schulzeit gehört, habe ich meine letzten Schulferien mit Faulenzen statt mit Tschechischlernen verbracht. Stattdessen kam ich im September 2016 nach Teplitz (Teplice) mit viel Nervosität und den wenigen Wörtern „ahoj“, „děkuju“ und „dobře“ im Gepäck. Rückblickend kann ich sagen: Kein Sprachkurs der Welt hätte mich die tschechische Sprache besser lernen lassen als der Alltag selbst.

Als Freiwillige am Teplitzer Gymnasium war es meine Aufgabe, im Deutschunterricht aller Klassenstufen zu assistieren. Wie ich bald bemerken sollte, sprechen Jugendliche im Alter von 11-18 Jahren nicht nur in Deutschland, sondern auch in Tschechien eine andere Sprache – die Jugendsprache. Und um es vorweg zu nehmen: Ich fluche nicht und bemühe mich, auch im Deutschen keine Schimpfwörter zu verwenden. Doch sobald die Teplitzer Deutschlehrer am Ende der Stunde den Raum verließen, um mir noch etwas Zeit für das „gegenseitige Kennenlernen und die informelle Kommunikation“ mit den Schülern zu geben, verwandelte sich das sonst so ehrwürdige tschechische Klassenzimmer in eine Hochburg der unanständigen Ausdrücke.

Vielleicht geht es nur mir so, doch es scheint, als würden Menschen, die versuchen, einem Fremden ihre Muttersprache beizubringen, ganz besonders gern die Schimpfwörter dieser Sprache vermitteln. Ich sehe es noch vor mir: Zwanzig Schüler im Stuhlkreis, die versessen darauf sind, meinem unschuldigen deutschen Wortschatz einen anstößigen tschechischen hinzuzufügen. Nichts macht schließlich so viel Spaß, wie verbotene Dinge in einem so geregelten Umfeld wie dem der Schule zu tun. Und so kam es, dass ich nach wenigen Minuten die tschechischen Bezeichnungen für Körperausscheidungen und Geschlechtsteile sowie diverse Kraftausdrücke aus dem Effeff konnte.

So auch: „Ty vole!“ Jedem, der sich für einige Zeit in einem tschechischsprachigen Umfeld aufhält, wird dieser Ausruf bekannt sein, denn er findet nicht nur in der Jugendsprache, sondern auch in ganz normalen Alltagsgesprächen unter Erwachsenen regelmäßig Anwendung. Meine Schüler konnten mir aber dessen Semantik, also die Bedeutung des Wortes, wie ich es so schön an der Uni gelernt habe, nicht vollständig erklären. Übersetzt wird dieses vielseitig anwendbare Phänomen der tschechischen Sprache mit „Du Ochse“, aber die wörtliche Bedeutung hat mit der praktischen Verwendung wenig zu tun. Je nachdem, mit welcher Betonung und in welcher (informellen!) Gesprächssituation man es sagt, kann „ty vole“ nämlich alle erdenklichen Stimmungen wiedergeben: Empörung, Verwunderung, Enttäuschung, aber auch Freude oder sogar Anerkennung. Praktisch, nicht wahr?

In der Abschlussprüfung eines Sprachkurses zur tschechischen Umgangssprache schrieb ich also als Antwort auf die Frage, was „ty vole“ heißt: „Alles und Nichts.“ Der Kursleiter bestätigte meine Antwort mit einem Grinsen und bescheinigte mir somit, dass ich endlich eine Vorstellung von der Vielfalt der tschechischen Sprache hatte. Jetzt, nachdem ich ein weiteres Jahr in Tschechien verbracht habe, stehe ich ihr also nicht mehr ganz so ungewappnet gegenüber und verstehe mittlerweile den Großteil dessen, was die Moderatoren im Fernsehen, aber auch die älteren Herren in der Kneipe zueinander sagen. Neben den wirklich kompetenten Tschechischdozenten waren vor allem die Schüler und der tschechische Alltag selbst meine besten Lehrer.

Bis bald und ahoj.


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