Das Kulturzentrum in Groß Tschochau (Řehlovice), Foto: Petr Špánek

Seit 20 Jahren sorgt ein Bauerngut in Groß Tschochau nahe Aussig für deutsch-tschechischen Kulturaustausch.

Es ist kühl an diesem Morgen, trotzdem kann Lenka Holíková nicht widerstehen, den Morgentee auf der Terrasse einzunehmen und damit das Vogelkonzert und den Blick in sattes Grün zu genießen. Doch viel Zeit bleibt ihr nicht. „Gleich kommt Vera. Sie macht eigentlich was völlig anderes, aber zweimal im Jahr reist sie nach Řehlovice und kümmert sich um den Kulturbrunch“, erzählt sie. Der deutsch-tschechische Kulturbrunch ist eine feste Institution des „Kulturzentrums Řehlovice“.

Er bietet nicht nur köstliches Essen, sondern auch die Möglichkeit, zwanglos und in angenehmer Umgebung Kontakte zu Menschen zu knüpfen, die am deutsch-tschechischen Austausch interessiert sind.

Das Kulturzentrum in Groß Tschochau (Řehlovice) nahe dem gleichnamigen Autobahnkreuz bei Aussig (Ústí nad Labem) wurde vor 20 Jahren gegründet, fast genauso lang gibt es den Kulturbrunch. „Es gibt immer einen im Frühjahr, einen im Herbst. Die ersten Jahre habe ich noch mit vorbereitet. Inzwischen hat das Vera übernommen, und ich glaube, es macht ihr Spaß“, sagt Holíková.

Rehlovice 14 of 19 Lenka Holikova

Das ist typisch für das Kulturzentrum. Jeder packt an und bringt sich ein. Über die Jahre hat sich ein großer Kreis von Menschen gebildet, die mit dem Zentrum verbunden sind. Und im Mittelpunkt steht Lenka Holíková, der personifizierte deutsch-tschechische Austausch. Geboren in Aussig und nach der Emigration der Familie zweisprachig in Deutschland gelebt, folgte sie nach dem Design-Studium in Krefeld dem Vater zurück nach Tschechien. Der erfüllte sich mit dem Kauf des brachliegenden riesigen Gutshofes einen Traum. Und Lenka Holíková war begeistert. Vor ihren Augen sah sie einen Ort der Begegnung deutscher und tschechischer Künstler.

„Ich war während meines Studiums auf einigen Symposien und hatte das Gefühl, dort viel mehr zu lernen als im Studium“, erinnerte sie sich und hängte nach einem Jahr ihren Job an der Kunst- und Design-Fakultät in Aussig schon wieder an den Nagel, um ein Künstler-Symposium auf dem Gut ihrer Familie zu organisieren. Und da sie deutsch-tschechisch sozialisiert ist, konnte es nur ein deutsch-tschechisches werden.

Die Bedingungen waren abenteuerlich, denn die Familie Holík war nicht so vermögend, das Gelände piekfein zu modernisieren. Doch auf die zwölf Künstler wirkte der verfallene Hof mit seinen Ställen, einem riesigen barocken Speicher und der Brauerei nicht abstoßend, sondern inspirierend. Und so ist es all die Jahre geblieben. „Der Erfolg des ersten Symposiums hat uns ermutigt, weiterzumachen. Im Herbst 1999 gründeten wir den Verein und im nächsten Jahr kamen schon doppelt so viele Künstler“, erzählt sie.

Sanierung als künstlerischer Prozess

Die Künstler schätzen an Řehlovice die Abgeschiedenheit und Einfachheit, die ermöglicht, sich zu konzentrieren, und das Unfertige des Hofes. Wichtig ist der internationale Austausch. Und für Künstler aus den Bereichen Installation und Projektkunst entscheidend: die riesigen Räume, deren Verfall für die Kunst eher ein Vor- als Nachteil ist. Die Sanierung war so nicht selten ein künstlerischer oder sogar therapeutischer Prozess. „Eine Freundin machte mit von ihr betreuten Jugendlichen aus dem Kinderheim die Beräumung von Teilen der Brauerei zu einer Schatzsuche“, sagt Holíková. Wo sich einst Müll aus Jahrzehnten kollektiver Landwirtschaft stapelte, befinden sich heute halboffene Räume mit einem Gewölbe, wo die meisten Veranstaltungen stattfinden.

Unzählige freiwillige Einsätze weiter bröckeln zwar immer noch die Fassaden, aber innen ist inzwischen ein einfacher Komfort eingezogen, der künstlerische Arbeit, Debatten, Workshops kombiniert mit Übernachtung für bis zu 50 Teilnehmer zulässt. Neben eigenen Veranstaltungen des Kulturzentrums mieten sich verstärkt Vereine und Institutionen ein.

Rehlovice 6 of 19 Keramik

Grund genug für Holíková und ihre Mitstreiter, nach 20 Jahren würdig auf das Erreichte zurückzublicken. Pfingsten wurde eine große Feier ausgerichtet, die alles und alle zusammenbringt, die das Kulturzentrum bisher geprägt haben. Zugleich sind die Weichen für die Zukunft schon gestellt. Seit letztem Jahr ist nicht mehr ihre Familie Eigentümer der Brauerei, sondern der Kulturverein. Rund ein Dutzend Mitstreiter hat Geld gegeben, Holíková brachte ihren Anteil an der Brauerei unentgeltlich ein. Nun firmiert sie neu als Kultur-Dača – zu Deutsch „Kultur-Datsche“.

„Seitdem hat sich viel verändert. Jetzt steht der Ort auf einer breiteren Basis. Die Unterstützer sind mehr als vorher bereit, sich einzubringen“, freut sich Holíková.

Der Hof verjüngt sich

Eine zweite Weiche wurde bereits vor fünf Jahren gestellt, als sie über den Verein „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ eine Freiwilligenstelle bekam. „Das hat mir viel Arbeit abgenommen. Die Freiwilligen bilden zudem ein Netzwerk, das gleichberechtigt neben die Künstler tritt.“

Die neuesten Zukunftsbausteine sind die institutionelle Förderung, die der Deutsch-tschechische Zukunftsfonds dem Verein zugesprochen hat, aus der eine Kulturmanager-Stelle finanziert wird, und der deutsche Förderverein, der sich Anfang Mai in Dresden gegründet hat.

„Das Kulturzentrum hat mit geringen Möglichkeiten viel geleistet. Das wollen wir unterstützen“, sagt Peter Baumann, früher Geschäftsführer der Brücke/Most-Stiftung, die von Beginn an eng mit dem Hof zusammengearbeitet hat. Baumann, der inzwischen für die Volkssolidarität in Dresden arbeitet, gehört zu den Initiatoren des Fördervereins, der vor allem helfen soll, bei Projekten den nötigen Eigenanteil aufzubringen.

Für die Zeit nach der 20-Jahr-Feier hat Holíková klare Vorstellungen. „Es soll selbstständiger laufen, auch mal ohne dass ich immer da sein muss“, wünscht sie sich.


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