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Die Intervention der deutschen Botschafter in den vier mittel-osteuropäischen Visegrád-Ländern (V-4) war nicht vergeblich: Die Beschlüsse des Prager Gipfels von Tschechien, Polen, Ungarn und der Slowakei fielen weniger hart als erwartet gegen den Flüchtlingskurs Angela Merkels aus. Die Regierungschefs aus Prag und Warschau, Bohuslav Sobotka und Beata Szydło, wirkten mäßigend auf ihre Kollegen aus Ungarn und der Slowakei, Viktor Orbán und Robert Fico, ein.

 

 

 

– Griechenland und die Türkei bekommen Galgenfrist

Athen soll bis zum März-Gipfel der EU nachweisen, dass es die Flüchtlinge ordentlich registrieren kann. Dazu sollen weitere sogenannte Hotspots eingerichtet werden. Ankara wird aufgefordert, die Zahl der Flüchtlinge Richtung Balkan-Route deutlich einzudämmen. Das entspricht auch dem Wunsch Deutschlands. Die V-4 äußern sich zwar skeptisch, ob es Fortschritte geben wird, versprechen aber ihre Hilfe.

 – Drohung einer neuen Schengen-Außengrenze bleibt

Sollte es keine positiven Ergebnisse geben, plädieren die V-4 für die Befestigung der Grenzen von Mazedonien und Bulgarien zu Griechenland. Orbán nennt das eine „zweite Verteidigungslinie“. Merkel und Bundesaußenminister Steinmeier lehnen diese „Einfachlösung“ kategorisch ab. Sie würde Griechenland vom Schengen-Raum abkoppeln. Athen bliebe damit allein auf womöglich Hunderttausenden Flüchtlingen sitzen. Außerdem wäre mit dem „Abschneiden“ Griechenlands von Schengen der Zusammenhalt der EU zerbrochen. Athens Premier Tsipras war ursprünglich nach Prag eingeladen worden, zog aber eine erste Zusage wieder zurück. Offenkundig war das ein Grund für das Zögern der V-4, schon jetzt Tatsachen zu schaffen. Man hätte ohne Griechenland über Griechenland entscheiden müssen, etwas, das die Tschechen einst selbst leidvoll hatten ertragen müssen, als ihr Land an Hitler ausgeliefert wurde.

– Auf wen können die V-4 bei ihrem Kurs zählen?

In erster Linie auf Österreich, mit Abstrichen auf Slowenien und Kroatien. Prags Premier Sobotka hatte vor dem Gipfel extra mit seinem Wiener Kollegen Faymann telefoniert. Diese drei Länder sind aber keine ausreichende Rückendeckung für die V-4. 

– Was hat zu der abgeschwächten Beschlussfassung in Prag geführt?

In erster Linie die Sorge des tschechischen Premiers Sobotka, es sich als derzeitiger Vorsitzender der V-4 völlig mit der Bundeskanzlerin zu verderben. Tschechien und Deutschland hatten erst kürzlich eine gemeinsame Arbeitsgruppe zum Thema Flüchtlinge gegründet. Sobotka trat auf dem jetzigen V-4-Gipfel als eine Art Moderator auf. Die V-4 will nach seinen Worten „Probleme klar benennen und Lösungen anbieten. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass wir die EU blockieren wollen“, betonte er. Auffällig oft sprach in Prag auch die polnische Ministerpräsidentin Szydło von der Notwendigkeit einer „europäischen Lösung“. Beobachter sagen zudem, dass im Grunde der Vorrat an Gemeinsamkeiten in der Visegrád-Gruppe geringer ist, als das Interesse jedes einzelnen Landes an guten Beziehungen zu Berlin. Alle vier Staaten sind wirtschaftlich engstens mit Deutschland verbunden. Das könnten sie nicht aufs Spiel setzen. Diplomaten erwarten, dass vor allem Ungarn auf einen weiterhin geeint harten Kurs hinarbeiten wird. Bei der Slowakei macht man da Abstriche. Premier Fico wolle mit dem Flüchtlingsthema die Parlamentswahlen am 5. März deutlich gewinnen. Danach könnte er zu Zugeständnissen bereit sein. Zumal er in der zweiten Jahreshälfte den Ratsvorsitz in der EU übernimmt. Es sei schwer vorstellbar, heißt es, dass er sich in dieser Zeit weiter so wie zuletzt mit Merkel anlegen wird.

– Was wird aus Merkels Plan, von der Türkei Flüchtlingskontingente zu übernehmen, die auf ganz Europa verteilt werden sollen?

Dies ist mit den V-4 nicht zu machen, weil eine solche Vereinbarung nur weitere Flüchtlinge anlocke. Schon jetzt sind Klagen Ungarns und der Slowakei beim Europäischen Gerichtshof gegen die permanente Verteilung von Flüchtlingen auf die EU-Mitgliedsstaaten anhängig. Tschechien hat am Montag immerhin begonnen, über die Aufnahme der ersten 30 Flüchtlinge zu verhandeln, die schon vor längerer Zeit über Griechenland und Italien nach Europa eingereist waren. Tschechien soll bis Ende kommenden Jahres 2 691 solcher „Alt-Flüchtlinge“ aufnehmen.

– Kann Merkel nun beruhigter zum Brüsseler Gipfel am Donnerstag und Freitag fahren?

Mit Blick auf die V-4 ja. Die vier mittel-osteuropäischen Länder  werden es dort nicht auf einen Krach ankommen lassen. Durch den Inhalt der Prager Vereinbarung wächst aber der Zeitdruck weiter. Zudem hat Merkel reichlich Probleme auch mit anderen EU-Ländern, wie Frankreich, die sich ebenfalls sperrig in der Flüchtlingsfrage geben. Auch das zweite Thema des Gipfels ist kompliziert genug: die Reformforderungen der Briten, um nicht aus der EU auszusteigen. Der Themenkatalog von Premier Cameron stößt bei den V-4 auf wenig Begeisterung. Namentlich regt sich ihr Widerstand gegen den Wunsch Londons, über einen gewissen Zeitraum keine Sozialleistungen an Zuwanderer aus anderen, sprich osteuropäischen Staaten, zu zahlen. 

 

 

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