Bei den Dreharbeiten zu dem Online-Theaterstück über das Massaker von Prerau. Foto: Tschechisches Nationaltheater/Narodni divadlo, Petr Neubert

Das Tschechische Nationaltheater wirft einen ungewöhnlichen Blick auf das Massaker von Prerau (Přerov), bei dem im Juni 1945 mehr als 200 Personen getötet wurden. Durch moderne visuelle Technologien werden historische Dokumente zum Leben erweckt und zeigen ein neues Bild des Massenmordes an den Schwedenschanzen.

Vor einem Jahr, am 23. Mai 2020, bekam ich von der Chefdramaturgin der Schauspiel-Abteilung des Nationaltheaters in Prag, Frau Marta Ljubková, folgende E-Mail: „Guten Tag, mit dem Regisseur Jiří Havelka bereiten wir für das Nationaltheater die Inszenierung ‚Augenzeuge‘ über die Geschehnisse im Juni 1945 vor, als in der Gegend von Prerau mehr als zweihundert Zipserdeutsche ermordet wurden. Wir werden uns auf authentische Dokumente stützen (…)“ Frau Ljubková hat weiter gefragt, ob wir im Museum der Kultur der Karpatendeutschen authentische Lieder oder Gespräche in der Zipser Mundart haben, die eventuell benützbar wären. Kurz danach habe ich geantwortet und auch einige Materialien ans Nationaltheater gesendet (auch noch mit der Bemerkung, das unter den Ermordeten auch Hauerländer aus Drexlerhau waren).

Wir sind noch in Kontakt geblieben, aber in den letzten Monaten hatte ich keine Informationen darüber, wie die Vorbereitungen der Inszenierung vorangekommen sind. Es war doch allerorts die zweite Welle der Corona-Pandemie und dadurch war auch die Kultur schwer betroffen. Ein Bühnenstück war schließlich in diesen Monaten undenkbar.

Inspiration im virtuellen Raum

Herr Havelka und Frau Ljubková haben aber, wie es in diesen Zeiten so oft war und ist (und sicher auch bleibt), Inspiration im virtuellen Raum gefunden. Das ursprüngliche Konzept der Bühnenversion haben sie erweitert um Aussagen mehrerer Generationen darüber, was die Bosheit der Menschen bringen kann. Das Ergebnis ist ein Film von Regisseur Jiří Havelka mit den Schauspielern des Nationaltheaters: Er trägt den Titel „Augenzeuge“ (Očitý svědek). Vom Tod der 267 Zivilpersonen in der blutigen Nacht vom 18. auf den 19. Juni 1945 an den Schwedenschanzen unweit von Prerau erzählen die Schauspieler, indem sie die Aussagen derjenigen wiedergeben, die damals gemordet haben, die ihre Nächsten verloren oder die nur bei der Tat zugesehen haben.

Die Zeugenaussagen aus dem Archiv verbinden sich vor der Kamera durch die Erzählungen der Menschen mit einem konkreten Schicksal. Der Zuschauer sieht nur die Gesichter von 34 Personen, die das Massaker nahe Prerau schildern. Anderthalb Stunden lang wechseln sich die Gesichter vor dem Hintergrund einer weißen Mauer ab. Die Erstaufführung dieses Filmes hat die Schauspiel-Abteilung des Nationaltheaters in Prag am 18. Februar 2021 auf ihrer Webseite veröffentlicht.

Intensive Archivrecherche

In einem Interwiew sagte Regisseur Havelka, dass er sich mit diesem Thema schon einige Jahre lang befasst hatte. In dem Archiv des Militärhistorischen Instituts stieß er auch auf Akten, die die Untersuchungen zum Massenmord der Karpatendeutschen in Prerau beschreiben. Havelka meinte: „Ich wusste zuvor nichts davon. Und plötzlich stellte ich fest, dass das wirklich geschehen war. Tagelang konnte ich nicht aufhören, daran zu denken. Darum suchte ich nach weiteren Dokumenten. Als ich schon einen dicken Stapel von Archivmaterialien gesammelt hatte, wusste ich, dass damit etwas gemacht werden muss.“

Gedenken an das Massaker von Prerau

Mit dem Massaker an den Schwedenschanzen befassen sich inzwischen Historiker und Publizisten (František Hýbl, Jan Urban u. a.). Es wurde nicht vergessen. Jedes Jahr nehmen wir an den Gedenkveranstaltungen der Stadt Prerau teil. In der Slowakei wurden einige Denkmäler oder Gedenktafeln enthüllt (Dobschau, Mühlenbach, Kesmark, Drexlerhau). Aber im Bewusstsein der Öffentlichkeit ist dieses größte Massaker in der Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg wenig präsent. Eine künstlerische Bearbeitung dieses Themas kann sicher beitragen, dies zu ändern.

Dieser Beitrag ist zuerst auf www.karpatenblatt.sk erschienen.

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