Foto: Tomaž Demšar, CC BY-SA 3.0

Letztens ist mir was passiert, das geschieht nicht alle Tage. Oder haben Sie schon mal einen Igel geschenkt bekommen? Nein? Ich auch nicht. Bis vor Kurzem.

Da nämlich überreichte mir ein netter Mann einfach so und ohne Vorwarnung einen Igel. Aber nicht irgendeinen, nein, dieses Exemplar saß in einem Käfig – einem Käfig aus Metall und ohne Türchen, woraus es mich mit seinen dunklen Knopfaugen ein wenig verängstigt anblickte. Ich muss wohl tierlieb und vertrauenswürdig ausgesehen haben, denn der Mann überließ mir das kleine Wesen und verschwand mit den Worten: „Finde doch heraus, wie du ihn befreien kannst!“

Da stand ich nun in Prag auf der Straße, ratlos und in der Hand einen Käfig mit Igel darin. Nur nichts überstürzen, dachte ich mir, und machte mich auf den Heimweg. Unterwegs suchte ich für den kleinen Kerl noch ein paar Regenwürmer im Park, die er dankbar annahm. Ich betrachtete ihn genauer. Kugelrund war er und hatte schwarze, glänzende Äuglein. Beim Fressen schmatzte er geräuschvoll. Wie er so da hockte, schloss ich den stacheligen Freund in mein Herz und nahm mir vor, ihm schnellstmöglich seine Freiheit wiederzuschenken.

Zunächst versuchte ich aber, mit dem Igel ins Gespräch zu kommen. Ich unterbrach ihn bei seinem Festmahl. Während er schmatzend zu mir aufsah, hing ihm noch ein Stück Regenwurm aus dem Schnäuzchen. Schnell schluckte er es hinunter. „Wer bist du?“, fragte ich ihn, woraufhin er belustigt meinte, dass das eine sehr tiefgründige Frage sei. Ich rollte mit den Augen. Was hatte ich mir denn hier ins Haus geholt, einen reinkarnierten Philosophen, oder was? Na gut, dachte ich mir, versuchen wir es anders: „Wie heißt du?“ „Franz-Ferdinand“, antwortete der Gefangene. Ein Kichern konnte ich mir nicht verkneifen. „Ich hätte es wissen müssen, immer diese altklugen Adligen. Nun, wie sind Eure Majestät denn in diese missliche Lage geraten?“. „Haha…“, brummte mein stacheliges Gegenüber beleidigt, „Sei doch nicht so frech. Du darfst mich gern Duzen.“ Ich entschuldigte mich kleinlaut und der Igel fuhr fort. Man habe ihn mit einer List, also Futter, in diesen Käfig gelockt, da sei er noch ein Jungigel gewesen und habe locker durch die Gitterstäbe gepasst. Dann habe man ihn immer weiter gefüttert, er sei gewachsen und habe schließlich nicht mehr entkommen können. Wie auch. Ich rüttelte an den Stäben, sie bewegten sich keinen Millimeter. „Und wie soll ausgerechnet ich dich befreien?“ „Find’s heraus.“

Da er mir meine Frage nicht beantworten konnte, machte ich mich schließlich an die Recherche. Unzählige Internetforen gibt es im deutschsprachigen Netz, in denen die Leute fragen, womit sie Igel füttern können, aber niemand hatte jemals einen Igel aus einem Käfig ohne Tür befreien müssen. Bei Franz-Ferdinand handelte es sich laut dessen eigener Auskunft um einen tschechischen Igel, weshalb ich beschloss, auch das tschechische Netz zu durchforsten. Und sieh an – ausgerechnet dort fand ich Hilfe in Hülle und Fülle. Es schien mir fast so, als wäre das Igel-aus-dem-Käfig-Herausdrehen eine tschechische Nationalsportart. Sogar Videos hatten einige gedreht, in denen sie die stacheligen Tierchen aus ihren Gefängnissen befreiten.

Das sah ulkig und auch ein bisschen brutal aus, aber ich wollte es wenigstens versucht haben. Ich packte also Franz-Ferdinands Nase und versuchte, ihn drehend zwischen den Gitterstangen hindurchzuziehen. Erschrocken quiekte er auf. „Tut mir leid“, sagte ich, „aber wir müssen alles probieren. Im Video machen sie das auch so.“ Ich zog und zog, aber seine Stacheln waren im Weg. Empört sah mich der Möchtegern-Adlige an: „Das ist ja unerhört!“, zeterte er. „Ja“, entgegnete ich, „und es kommt noch schlimmer. Roll dich mal ein.“ Er blickte mich abschätzig an, gehorchte aber und wurde zur Kugel. Verzweifelt schüttelte ich den Käfig, drehte ihn, wendete ihn, stellte ihn auf den Kopf. Die stachelige Franz-Ferdinand-Kugel purzelte nur so durch ihr Gefängnis. Aber nichts geschah. Der Igel blieb im Käfig. Wut blitzte mir aus seinen Augen entgegen, als er sich wieder entkugelte. Er drohte damit, in den Käfig zu kotzen, wenn ich ihn noch einmal so schüttelte. Tatsächlich war das pelzige Gesicht um sein Igelnäschen ganz grün geworden. Beschwichtigend hob ich die Hände und versprach, mich noch einmal besser zu informieren.

Nach längerer Recherche stieß ich diesmal auf ein Buch des tschechischen Schriftstellers Jaroslav Foglar. Der leidenschaftliche Pfadfinder hatte nämlich noch im Jahr 1940 „Das Rätsel eines Puzzles“ (Záhada hlavolamu) geschrieben, in dem der Igel im Käfig (auf Tschechisch: Ježek v kleci) eine ganz bedeutende Rolle spielte. Dank der gut informierten Leser Foglars, die sich im Internet zu diesem in der Tschechischen Republik sehr bekannten Geduldsspiel äußerten, wusste ich schon kurze Zeit später, was zu tun war. Ich lockte Franz-Ferdinand mit einem weiteren Regenwurm zu mir und suchte in seinem Pelz nach einem bestimmten Stachel, mit dem ich die Befreiungsaktion beginnen sollte. Nach einigen Anstrengungen meinerseits und lautstarkem Gemecker und Gefauche von Seiten des Igels gelang es mir schließlich, meinen stacheligen Freund aus seinem Gefängnis zu holen. Ein bisschen perplex schüttelte er sich, kurz darauf strahlten mich seine Knopfaugen aber auch schon dankbar an. Gerührt sah er sich um, eine Träne stahl sich aus seinen Augen. Ich bot Franz-Ferdinand ein winziges Stückchen Taschentuch an. „Der schönste Tag meines Lebens!“, schniefte er. „Und nun? Was willst du tun, jetzt, wo du wieder frei bist?“, fragte ich ihn erleichtert. „Ich glaube, ich will bei dir bleiben“, sagte Franz-Ferdinand, kletterte auf meine Hand und rollte sich dort zusammen.

Igelknobelspiel Bildrechte Isabelle Wolf

Seitdem hockt der kleine Kerl jeden Tag geduldig auf meinem Schreibtisch und wartet darauf, dass ich aus der Redaktion komme und ihn aus seinem Käfig hole. Dank Foglar wissen Franz-Ferdinand und ich ja jetzt, wie das geht.

Bis bald und ahoj.

PS: An dieser Geschichte könnte nichts, etwas, vieles oder alles wahr sein. 😉


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