Illustration: Sudetistanische Industrielandschaft - Bild: LE/Jiří Bernard

Wenn ich auf der Suche nach Exotik bin, zieht es mich nicht in die fernen Gefilde weitläufiger Karibikstrände oder undurchdringliche Urwälder. Für mich als bekennenden Sudetistaner liegt die wahre Exotik in den mir unbekannten Tiefen und Winkeln unseres böhmisch-mährischen Kessels.

In den vergangenen paar Wochen war ich auf zwei Vortragsreisen unterwegs. Die erste führte mich nach Mähren, die zweite nach Südböhmen. Sich einfach mal so aufzumachen und ein paar Tage wegzufahren ist natürlich ein Privileg, das wir Studenten glücklicherweise gut zu nutzen wissen. Ich habe also ein paar Vorlesungen und Seminare geschwänzt und bin stattdessen zu einem Freund nach Uherské Hradiště gefahren, das etwa eine Stunde von Brünn entfernt liegt.

Ich will nicht lügen. Ich bin nicht nur der Vorträge wegen nach Mähren gefahren. Sondern auch, um mich zu amüsieren und die dortigen flüssigen Spezialitäten zu kosten. Und natürlich auch um Unterschiede zu finden, zwischen dem Leben in Sudetistan und dem Leben an einem Ort, an dem es niemandem auch nur einfallen würde, die Landschaft durch Tagebauten zu zerschneiden. Entweder haben sie dort eine Beziehung zu ihrer Heimat oder es gibt dort keine Kohle.

Was ich ganz exotisch fand war, wie man in Mähren nachbarschaftliche Beziehungen pflegt. Man lebt nicht nur nebeneinander, sondern besucht sich, trinkt zusammen Slivovice, hilft sich. Man tratscht auch und prügelt sich in der Kneipe. Aber das gehört auch dazu und formt so ein lauschiges Mozaik von dem wir zwischen Erzgebirge und Elbe nur träumen kommen. Mährische Dörfer leben in einem Rhythmus von Traditionen, mit denen der Lauf der Zeit gemessen wird. Hier Ostern mit seinen ganzen Traditionen, dort ein Weinfest oder eine Slivovitz-Verkostung, Feste und Bälle. Gelegenheiten zu feiern gibt es dort irgendwie immer. Bei uns in Sudetistan immer nur am 1. Mai.

Am meisten fasziniert haben mich die Trachten. Eine Tradition, die nicht nur nicht ausstirbt, sondern in vielen Gemeinden wiederbelebt wird. Wir in Sudetistan haben die Trachten zusammen mit den Deutschen vertrieben und mit dem schlecht sitzenden Jogginganzug vom Vietnamesenmarkt ersetzt.

Gemeinschaft, Traditionen, Gegenseitigkeit und Slivovice stellen in Mähren eine bewährte Zuflucht dar. Ein Minimum, das bleibt, auch wenn es das Leben besonders schlecht mit einem meint. In Nordböhmen haben wir eigentlich nichts, was uns Trost spenden könnte, so bleibt oft nur Verschlossenheit, Skepsis und manchmal auch Hass.

Weiter führten mich meine Vorträge nach Südböhmen – Budweis, Tábor, Kaplitz, Krummau. Die letzten beiden Orte waren hauptsächlich deutsch besiedelt. Als ich dort mit Leuten über die Vertreibung und das was danach kam diskutierte, beschrieben sie mir den Unterschied zwischen Nord- und Südböhmen folgendermaßen: Im Süden wurden die Dörfer gleich zugebaggert, deshalb musste man nicht so viele Menschen ansiedeln. Ein Dorf dem Erdboden gleichzumachen oder ein Dorf neu mit Menschen ohne Bezug dazu besiedeln – beide Szenarien sind erschreckend. Im ersten Fall verödet jedoch nur der öffentliche Raum. Im zweiten die Seele.

Die Suche nach Tradition und Kontinuität wird in Zukunft die größte Herausforderung für Nordböhmen sein. Vielleicht werden wir ja irgendwann einmal den Tag erleben, an dem bei uns deutsche Traditionen und ihre Folklore neu belebt werden. Bis es soweit ist müssen wir halt in andere Ecken der Republik fahren und uns vorstellen, wie schön es auch bei uns sein könnte.

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