Bild: Großes Stadtwappen Prags

Nein, einen neuen Fenstersturz hat Prag Mitte der Woche nicht erlebt. Aber schon eine Art Revolution. Zwar war es der Sage nach mit Libuše eine Fürstin, die die Entstehung Prags vom Berg Vyšehrad aus prophezeit hatte. Doch die Geschicke der Moldaustadt wurden nach der Wahl des ersten Bürgermeisters 1537 immer nur von Männern gelenkt. Jetzt hat Prag erstmals eine Frau als Primátor, wie der Stadtvater in tschechischen Großstädten heißt. Adriana Krnáčová ist in eine Männerdomäne eingedrungen, was den Herren der Schöpfung, die in Tschechien gern den Macho raushängen lassen, gegen den Strich geht.

 

Die 54-Jährige, die Sprachen und Kunstwissenschaften in der Heimat und später auch in den USA studiert hat, wurde im Wahlkampf immer mal von der Seite angemacht. Doch die gut aussehende brünette Brillenträgerin, ohnehin eher schweigsam, ließ sich nie provozieren. Die Vorwürfe richteten sich gegen sie als Frau, die ohne den Rest der Welt zu fragen, einfach Karriere mache. Sie sei keine von hier, hieß es weiter, nicht nur nicht aus Prag, sondern nicht mal eine ordentliche Tschechin. Das stimmt. Krnáčová stammt aus Bratislava, ist gebürtige Slowakin. Sie hat aber vor Jahren die tschechische Staatsbürgerschaft angenommen. Und sie spricht selbstverständlich auch akzentfrei Tschechisch. In ihrer Familie sprach man zudem Deutsch und Ungarisch, was im ehemaligen Multi-Kulti-Pressburg normal war. Das hat sie bis heute ebenso flüssig drauf wie auch noch Englisch, Russisch und Italienisch. Dass sie geschieden sei und allein einfach so drei Kinder groß gezogen habe, war der albernste Vorwurf: in Tschechien wird jede zweite Ehe geschieden.

Da so viel über die neue Primatorin vorab getratscht wurde, lehnte sie es ab, sich am Wahlabend noch lang und breit dem Stadtrat vorzustellen. „Sie kennen mich doch eh'“, sagte sie. „Das hält alles nur auf. Ich sage aber gern nach der Wahl etwas.“ Da fasste sie dann noch einmal zusammen, was sie sich vorgenommen hat: „Ich will binnen vier Jahren aus Prag eine prosperierende, offene, lächelnde und sichere Stadt machen, ohne Prostitution, ohne Spielcasinos und ohne Korruption.“ Der Angriff namentlich auf die Korruption ist ernst zu nehmen. Davon versteht die auch in Wirtschaftsfragen sattelfeste Krnáčová etwas: sechs Jahre arbeitete sie führend in der tschechischen Abteilung von Transparency International, deckte schon mehrere Skandale auf. Das macht einigen der langgedienten Stadtoberen erhebliche Sorge, weil sie nicht sauber sind. Was Wunder: in Prag wird mehr Geld verteilt, als in jedem durchschnittlichen Ministerium. Vieles davon verschwand bislang in privaten Taschen.

Der heftigste Vorwurf gegen Krnáčová lautete, sie sei nur eine „Marionette“ ihres Parteichefs Andrej Babiš von der Protestbewegung ANO. Dem hat sie selbst auch etwas Vorschub geleistet, als sie ankündigte, dass sie sich mit Sicherheit in schwierigen Fragen mit ihm beraten werde. Doch was ist dagegen zu sagen? Die neue Oberbürgermeisterin ist „Neuling“ in diesem nicht leichten Job, zudem für ANO angetreten und wünscht der einstigen Protestbewegung natürlich nur das Beste. Weshalb sollte sie ihren Chef also nicht konsultieren? Aus Deutschland weiß man, dass Angela Merkel ständig von ihren Parteikollegen per SMS konsultiert wird, wenn es schwierig wird. Einer dieser Kollegen hat sogar während einer Sendung der Fernseh-Show „Wer wird Millionär“ die Kanzlerin in einer für Ostdeutsche typischen Frage als Telefon-Joker angegeben, auch wenn die Verbindung am Ende nicht klappte.

Dass der Milliardär und Vizepremier Babiš immer ein offenes Ohr für die neue Oberbürgermeisterin haben wird, ist logisch. Babiš will demnächst Premier und später womöglich auch noch Präsident werden. Bislang wirkt ANO in Regierung und Parlament. Punkte macht man aber im Kommunalen, da, wo die Leute leben. Dort gab es ANO bis zu den Wahlen noch nicht. Allein verbilligte Jahrestickets für die öffentlichen Verkehrsmittel und die Abrechnung mit alten Strukturen werden nicht reichen, um die Prager von sich zu überzeugen. Dazu braucht es auch Visionen für die „Stadt von morgen“. Sollte die neue Primatorin mit denen erfolgreich sein, dann könnte ihr neuer Sessel womöglich zum Sprungbrett für noch Höheres werden. 

 

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