Unsere Wanderbloggerin überwindet Längen- und Breitengerade, gefährliche Ungeheuer und den Goldenen Steig.

 

Prachatitz - Foto: Jana HeenenEs gibt Tage, an denen man früh aufstehen sollte, wenn man etwas Wichtiges vorhat. Ich hatte etwas Wichtiges vor an diesem Tag: die Eroberung des Berges Libín bei Prachatitz (Prachatice) mit anschließender Expedition auf dem Goldenen Steig.  Die Zeichen standen gut: um 6 Uhr früh nahm ich den Zug aus Pilsen (Plzeň). Schon während der Zugreise sah ich auf den Feldern Rehe grasen und die Sonne stieg langsam höher.

Für meine Expedition hatte ich an alles gedacht und mir die Strecke genau angeschaut. Nur vor Ort in Prachatitz stellte ich fest, dass nicht die Eroberung des steilen Libín (1093 m hoch) eine Herausforderung darstellte, sondern bereits vorher der Weg aus Prachatitz hinaus: die Überschreitung des Breitengrades 49°N und gleichzeitig des Längengrades 14° E!

Die beiden kreuzen sich direkt hinter dem letzten Haus von Prachatitz! Ich hatte keine Schwimmsachen,Breiten-Längengrad-Kreuzung - Foto: Jana Heenen keine Kletterausrüstung, keine helfenden Mitwanderer dabei. Wie überwindet man so ein Hindernis? Ich recherchierte auf meinem Handy und schluckte: Der 49°N verband Prachatitz direkt mit der Staatsgrenze zwischen den USA und Kanada. Und ich stand hier allein im Wald.

Ich setzte mich auf eine Holzbank und meditierte. Es gibt nur zehn solcher Kreuzungspunkte in Tschechien und ich war ausgerechnet heute auf einen von ihnen gestoßen.

Bis heute kann ich nicht sagen, wie ich es geschafft habe, diesen Punkt zu meistern, aber ich bin einfach mit geschlossenen Augen aufgestanden und weitergegangen. Meine Muskeln fühlten sich schwach an, jeder Schritt war schwer, doch ich schaffte es!

Der Rest war dann ein Kinderspiel: Den Weg zum Libín nahm ich mit links. Von dort konnte ich das umliegende Tal perfekt überblicken und die bekannten Gipfel des Böhmerwalds bewundern. Im Hintergrund drückten sich die deutschen Gipfel des Bayerischen Waldes.

Der schwierigste Teil des Weges schien gemeistert. Ich musste jedoch das Dörfchen Pfefferschlag (Libínské sedlo) passieren, um zum Goldenen Steig zu gelangen. Dieses Dörfchen stellte mir weitere Herausforderungen: Um die Bienen in dem Ort zu füttern und zu vermehren, gab es mehrere Bienenhäuschen am Wanderweg – an denen ich natürlich vorbei musste. Als ich dies geschafft hatte, wartete direkt dahinter der größte Hund von Pfefferschlag auf mich.

Mit seinen stechenden Augen stand er da, dünn und hungrig. Neben ihm seine Herrscherin und Meisterin, eine kleine Frau mit Stock. Sie versperrten die kleine Brücke, die ich nehmen wollte, um über den Bach zu gelangen.

Ich schluckte meine Angst herunter und fragte höflich nach dem richtigen Weg. Die Frau und das Ungeheuer fixierten mich mit ihren Blicken. Sie schienen mich zu durchleuchten. Dann wurden ihre Augen und Gesichter freundlich und sie ließen mich vorbei. Sie wünschten mir einen schönen Tag. Mit Gänsehaut ging ich schnell weiter, immer am kleinen Bach entlang. Er plätscherte lustig in den Tag hinein und kannte keine Sorgen.

Schafsherde - Foto: Jana HeenenIch gelangte nach Albrechtschlag (Albrechtovice), in eines der Dörfer, aus dem die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben wurden. Hier stehen noch genau zwei Häuser und es grast dort eine neugierige Schafsherde. Und hier verläuft der Goldene Steig – der ehemalige jahrhundertealte Handelsweg zwischen der Donauregion und dem Böhmerwald. Den Weg nach Prachatitz zurück nahm ich also über diesen geschichtsträchtigen Weg, auf dem früher Salz und anderes wertvolles Handelsgut transportiert wurde. Heute blüht hier der Löwenzahn und es fliegen Schmetterlinge in allen Farben. Prachatitz selbst konnte ich am Ende dieser erschöpfenden Expedition auch noch bewundern: Es bietet einen wunderschönen Marktplatz mit historischen Fassaden. Ein toller Abschluss meiner heutigen Reise.

Nehmt euch in Acht vor Breiten- und Längengraden auf euren Wanderungen!

 

Streckendaten:

Distanz: 17 km
Laufzeit: 5,5 Stunden
Höhenmeter: 658m
Ausgangspunkt: Bahnhof Prachatice-lázně
Wegpunkte: Libín, Libínské sedlo, Albrechtovice, Prachatice
Anreise: Zug

 


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WanderBloggerin JANA HEENEN:

Das Leben ist eine Reise, auch für mich. Mein Name ist Jana, ich komme aus der Nähe von Krefeld in Westdeutschland und arbeite seit einiger Zeit in Pilsen (Plzeň) für den deutsch-tschechischen Jugendaustausch. Um Tschechien und seine Landschaft(en) kennenzulernen, begebe ich mich so oft wie möglich auf Wandertouren, beobachte die Natur, fotografiere, notiere und bewerte die Ausflugsziele. Gern ziehe ich mit anderen Naturfreunden los, um von ihnen zu lernen und mich mit ihnen über das Leben zu unterhalten. Wenn man geht, dann kann man besser nachdenken und kommt zu neuen Ideen! Ich möchte Sie nun gern daran teilhaben lassen und stelle dafür regelmäßig meine Wanderungen vor.

Sie sind herzlich eingeladen, Vorschläge zu machen, was es in Tschechien noch zu entdecken gibt! Diese können Sie gern an redaktion@landesecho.cz senden. Ich freue mich!


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