Foto: Demonstantinnen am 17. November mit Plakat pro Havel und contra Zeman - Bild: tra

Bei seinem mittlerweile legendären Radio-Gespräch, in dem auch äußerst vulgäre Ausdrücke fielen, ereiferte sich Tschechiens Präsident Miloš Zeman über seine Kritiker, die er pauschal „Prager Kaffeehausgänger“ nannte. Er fand in Wahrheit einen nicht ganz so schönen Ausdruck. Aber man weiß, dass es mitunter nicht schicklich ist, das Staatsoberhaupt wörtlich zu zitieren. Also bleibe ich bei dieser netten, unverfänglichen Bezeichnung.

 

Wer sind eigentlich die Leute, die die Prager Kaffeehäuser bevölkern und dort schlimme Aktionen gegen Zeman aushecken? Nun, Zeman meinte damit jene, die bis heute nicht verwunden hätten, dass er und nicht sein konservativer Widersacher Karel Schwarzenberg die Stichwahl um das tschechische Präsidentenamt gewonnen habe, die sich immer noch im Wahlkampf wähnten. Die leben in der Tat mehrheitlich in Prag, wo Schwarzenberg Zeman prozentual auch nicht den Hauch einer Chance ließ.

Zemans Vorwurf ist so falsch also nicht, so er sich auf die Hauptstadt bezieht. Er selbst sieht sich ja eher in den Kneipen vor allem Mährens zu Hause, in denen man wahrhaft deftig isst und nicht nur zum Nachspülen gern auch größere Mengen Wein und Schnaps zu sich nimmt. Dort geht es rustikal zu, ganz anders als in den Prager Kaffeehäusern. Zeman hat auch deshalb in gewisser Weise recht, weil er Schwarzenberg im engsten Freundeskreis des früheren Präsidenten Václav Havel und anderer ehemaliger Dissidenten verortet. Die Dissidenten haben in der Tat vor allem vor der „Samtrevolution“ die Kaffeehäuser besiedelt. Havel und seine Freunde hatten beispielsweise einen Stammtisch im Art-Deco-Cafe „Slavia“, gleich gegenüber dem Nationaltheater, mit herrlichem Blick über die Moldau auf die Prager Burg. Und auch als Präsident hat Havel noch einige Staatsgäste dorthin verführt, etwa den früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker.

Wie sehr Havel das „Slavia“ am Herzen lag, unterstrich er in der Zeit, als das berühmte Café einer Investorengruppe im amerikanischen Boston gehörte, der man das Etablissement kurz nach der „Wende“ unvorsichtig für 50 Jahre verkauft hatte. Die Amis scherten sich herzlich wenig darum; das Haus war ewig geschlossen. Bis Havel einen offenen Brief verfasste, in dem er die Rückgabe verlangte. Ansonsten würde das tschechisch-amerikanische Verhältnis schweren Schaden nehmen.

Heute ist das „Slavia“ längst wieder tschechisch und vor allem geöffnet. Aber es sitzen dort keine „Dissidenten“ mehr drin – diese Spezies aus realsozialistischen Zeiten gibt es schlichtweg nicht mehr. Mindestens die Hälfte der Gäste dort rekrutiert sich aus Touristen, die gern mal da sitzen wollen, wo laut ihren Touristenführern auch immer „der Havel“ gesessen hatte. Diese Touristen wissen glücklicherweise nichts über die heutigen Scharmützel in der tschechischen politischen Szene, kennen nicht mal den Namen des amtierenden Präsidenten und würden schon gar nicht auf die Idee kommen, gegen ihn Böses auszuhecken. Die andere Hälfte besteht vorrangig aus tschechischen Rentnern, deren politische Ambitionen gegen Null gehen. Sie wollen möglichst preiswert einen ordentlichen Kaffee oder Tee zu einem leckeren Törtchen zu sich nehmen und stehen auf saubere Toiletten, von denen es öffentlich in Prag nicht eben wimmelt. Schließlich gibt es da auch noch ein paar ganz junge Leute, Studenten oder frische Hochschulabsolventen, die sich dort zwar wirklich etwas ausdenken – aber keinen Putsch gegen den Präsidenten, sondern die nächste Präsentation für ihre Kunden aus dem IT-Bereich oder der Architekten-Branche.

Nase gestrichen voll

Die große Masse der Prager, die am Jahrestag der „Samtrevolution“ ihrem Präsidenten die Rote Karte zeigte und ihn ausbuhte, geht tagsüber einem geregelten Job nach und hat überhaupt gar keine Zeit, sich in einem Kaffeehaus dem Müßiggang hinzugeben. Wenn diese Menschen wirklich mal vom Schreibtisch oder der Werkbank aufsehen, dann denken sie an alltägliche Kümmernisse, etwa die Hypothekenzinsen, die sie für ihre gerade erworbene teure Wohnung aufzubringen haben. Wenn sie sich nach Feierabend dann doch mal ins Café begeben, dann reden sie auch nicht ausgerechnet über Politik. Davon haben die Tschechen nach all den Skandalen der vergangenen Jahre eh die Nase gestrichen voll.

In den Bierkneipen, die Zeman bevorzugt, wird das Thema schon sehr viel öfter gestreift. Wie einst bei Schwejk, der seine Stammkneipen in Prag hatte, um über Politik zu philosophieren, was ihm – wie man weiß – nicht gut bekam, hörten doch seinerzeit immer auch Spitzel mit. Aber über die Kneipengänger hat sich Zeman nicht genervt gezeigt.

Wenn sich die Prager Kaffeehausbesucher wirklich über etwas aufregen, dann maximal über die Unsitte, dass man zum Kaffee extra noch ein Wasser bestellen muss, das dann zudem auch noch richtig ins Geld geht. Würde der Präsident ein bisschen weniger die Chinesen und Putin loben und die westlichen Sanktionen gegen den Kreml verurteilen und sich stattdessen über das teure Wasser zum Kaffee aufregen, könnte er wahnsinnig Pluspunkte machen. Es müsste ihm nur mal einer seiner Berater sagen.

 

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