Bild: "In der Kneipe" von Heinrich Zille, 1913

Knapp zehn Jahre mag es her sein, da ich mich mitten in der Woche am späten Nachmittag in Ermangelung von Flaschenbier in die nächstgelegene, ziemlich finstere, aber sehr gut von ausschließlich Männern besuchte Kneipe in meinem damaligen Prager Wohnviertel Strašnice begab. Dass ich dort etwas falsch war, merkte ich schnell. Ich hatte mir zum Bier die Lektüre zweier Wochenzeitungen mitgebracht. Der spinnt, müssen die Jungs an den Nachbartischen über mich gedacht haben.

 

 

Gegen 6 Uhr abends wechselte plötzlich unter lautem Gejohle die Bedienung. Die Bestellungen nahm plötzlich eine junge Frau „oben ohne“ entgegen. Es dauerte erstaunlich lange, bis die Pubertierenden ihre Wünsche aussprachen. Der Anblick blanker Brüste hatte ihnen förmlich die Sprache verschlagen. Nach zwei Bier sprach ich die „Serviererin“ am Zapfhahn an und fragte sie nach dem Hintergrund dieser für mich ungewöhnlichen Arbeit. Während Hanka, wie sie sich vorstellte, mir den Grund für ihr Dasein nannte, schwand das aufgesetzte Lächeln aus ihrem Gesicht: „Meine Mutter wartet auf eine Operation, die von der Krankenkasse nicht bezahlt wird. Ich verdiene bei der Post nur wenig. Die ganze Familie hat einen zweiten Job, um das Geld aufzubringen. Ich mache halt das hier.“ Sie sprach von „schnell verdientem Geld“, bekam aber für vier Stunden gerade mal umgerechnet 45 Euro. Sorge, physisch belästigt zu werden, hatte sie nicht. Da würde der Wirt aufpassen. Verbalen Anzüglichkeiten nehme sie hin. Immerhin mache sie das schon ein halbes Jahr. „Mit der Zeit stumpft man ab.“ Dann setzte sie wieder ihr Lächeln auf und schleppte ein volles Tablett zu den Gästen. 

Bis heute hält sich dieses „Business“ in Tschechien. Es gibt richtige Agenturen, die sich damit – im Gegensatz zu den Frauen – eine goldene Nase verdienen. In der Nähe von Jihlava serviert einem kürzlich Zeitungsbericht zufolge eine junge Frau sogar völlig nackt, nur in hochhackigen Schuhen. Die Speisekarte hat ihr der Wirt allen Ernstes auf den Körper gemalt. Das teuerste Gericht liest man auf ihrem Schamhügel. Dieses Gericht gehe besonders gut.

Die Agenturen verdienen vor allem zwischen Dienstag und Donnerstag richtig Geld. Dann gibt es die meisten Buchungen, weil ansonsten in den Kneipen das Geschäft nicht so gut ginge. Die „Serviererinnen“, vornehmlich Studentinnen, alleinstehende Frauen mit Kindern oder Frauen wie Hanka aus der Kneipe in Strašnice, allesamt in finanziellen Nöten, halten die Gäste länger bei Bier und Gulasch.

Ein Agenturchef, der in erwähntem Zeitungsartikel befragt wurde, weist Begriffe wie „Ausbeutung“,  „Erniedrigung der Frauen“ oder gar „Zwangsprostitution“ entschieden zurück. „Jeder von uns ist doch ein bisschen exhibitionistisch veranlagt. Ich gebe den Mädels nur die ersehnte Möglichkeit, sich in ihrer Schönheit zu präsentieren. Alle haben etwas davon: die Wirte, die Gäste, die Mädels. Na ja, und ich natürlich auch.“ Ob er sich auch so zur Schau stellen würde? „Für nackte Männer gibt es keinen Bedarf“, grinst er. „In den Kneipen sitzen ja nur Männer.“ Seit 17 Jahren verdient der Agenturchef sein Geld mit den jungen Frauen, „betreut“ bis zu 30 Kneipen. Seinen Gewinn will er nicht nennen.

Eine öffentliche Debatte über die Bedienung „oben ohne“ gibt es in Tschechien nicht. Auch niemanden, der das verbieten würde. Der Staat ist schon damit überfordert, ein Gesetz zur Regelung der Prostitution zu erlassen. Die Abgeordneten streiten darüber schon über mehrere Legislaturperioden. 

Hanka aus Strašnice, so sagte mir dieser Tage der Wirt, arbeite nicht mehr bei ihm. Er wisse aber, dass die Familie das Geld für die Operation der Mutter letztlich nicht zusammengebracht habe. Die Frau sei vor zwei Jahren gestorben. Er sagte es relativ gleichgültig. Am Tresen zapfte derweil eine andere Frau „oben ohne“.

 

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