Nicht nur in den Minishops im Zentrum Prags ist der Einfluss der vietnamesischen Minderheit präsent. Am südlichen Zipfel der Stadt befindet sich das vietnamesische Kultur- und Handelszentrum „Sapa“. Unsere Landesbloggerin hat sich dort umgeschaut.

In Berlin lebe ich in einem Stadtteil, der aufgrund seines hohen türkischen Bevölkerungsanteils den Beinamen „Klein-Istanbul“ trägt. Das Gefühl, innerhalb der Grenzen einer Großstadt in einen komplett neuen Kulturkreis einzutauchen, ist mir daher vertraut. Bereits bei meiner Ankunft in Prag fiel mir auf, dass viele der „Večerkas“, wie sich die Minishops in Tschechien nennen, von Asiaten geführt werden. Kurze Zeit später hörte ich zum ersten Mal von „Sapa“, dem „Prager Hanoi“. Das asiatische Hanoi sowie das Bergdorf Sapa besuchte ich vor vier Jahren während einer Asienreise. Neugierig, inwieweit die tschechische Adaption der Millionenmetropole im Norden Vietnams seinem Vorbild gerecht werden würde, machte ich mich auf den Weg in den Stadtteil Libuš am südlichen Rand der Stadt.

Im Herzen des Marktes befindet sich ein buddhistischer Tempel. Foto: Lara Kauffmann

Im Herzen des Marktes befindet sich ein buddhistischer Tempel. Foto: Lara Kauffmann

„Die Stadt in der Stadt“

Knapp eine Stunde dauert die Fahrt aus dem Zentrum in die entlegene Enklave im zwölften Bezirk. Mit Bus und Tram lasse ich den historischen und prestigeträchtigen Teil der Stadt bald hinter mir, beeindruckende Bauten werden abgelöst von grauer Hochhausmonotonie. Begleitet von Lastwagen, Minibussen und Autos betrete ich durch ein Tor die „Stadt in der Stadt“. Vor mir breitet sich auf einer Fläche von mehr als 25.000 Quadratmetern eine Parallelwelt aus. Außer den Händlern bin ich eine der wenigen, die unmotorisiert versucht, sich auf dem riesigen Gelände zurechtzufinden. Wer mit einer romantisierten Vorstellung eines touristischen, farbenfrohen Vietnams an diesen Ort kommt, wird enttäuscht. Wer allerdings einen authentischen Eindruck von vietnamesischer Kultur bekommen möchte, für den lohnt sich die Reise. Auf den ersten Blick ist das „Prager Hanoi“ ein reines Handelszentrum und Hauptumschlagplatz für Waren aus Asien in Europa. In alten Lagerhallen, Betonbauten und Blechhütten wird hier ein umfangreiches Sortiment an verschiedenen Waren angeboten.

Verbringt man etwas mehr Zeit hier, wir deutlich, dass „Sapa“ neben dem Handel auch in kultureller Hinsicht Anlaufstelle für vietnamesische Kultur in Prag ist.

XXL-Einkauf

Meine erste Station ist ein Supermarkt. Kurz nach dem Betreten wird mir klar, dass ein Einkauf hier nichts mit dem Wocheneinkauf eines Normalverbrauchers zu tun hat. Die wenigen Kunden, die wie ich keinen randvollen Einkaufswagen vor sich herschieben, sind zumindest mit einem Klemmbrett bewaffnet und notieren beim Schlendern durch die Gänge die Anzahl der Paletten, die in den „Einkaufswagen“ sollen. Vollgepackte Regale formieren Gänge, die sich zu kleinen Paletteninseln öffnen. Warum die Ware erst auspacken und mühevoll in die Regale einsortieren, wenn sie auch in der XXL-Verpackung ihre Abnehmer findet? Spätestens in den Minishops werden sie dann aus ihren Kartons befreit und werden den Nachtschwärmern der Stadt zu erhöhten Preisen angeboten. Neben spezieller asiatischer Importware ist das Warenangebot in diesem Supermarkt schier grenzenlos. Über zwei Etagen erstreckt sich der Markt der Superlative, der an die Großmarktkette „Metro“ erinnert. Neben vielen Asiaten drängen sich hier auch einige Tschechinnen und Tschechen durch die engen Gänge. Eingeschüchtert vom Angebot und einem trotz der frühen Uhrzeit sehr langen Rückstau an der Kasse verlasse ich das Geschäft, ohne etwas zu kaufen.

In Kisten und auf Paletten stapelt sich hier, was später in den Minishops in Regalen seinen Platz findet. Foto: Lara Kauffmann

In Kisten und auf Paletten stapelt sich hier, was später in den Minishops in Regalen seinen Platz findet. Foto: Lara Kauffmann

Textile Gefängnisse

Ohne Plan und etwas orientierungslos hatte ich mich auf Erkundungstour begeben. Die Tatsache, dass ich eine Fremde an diesem Ort bin, entging auch den Händlern hier nicht. Mehrfach wurde ich angesprochen und dazu aufgefordert, sie zu ihrem Verkaufsstand zu begleiten.

Dankend lehnte ich ab und stürzte mich auf eigene Faust in das graue Dunkel der Hallen, die stark an textile Gefängnisse erinnerten. Da es noch sehr früh war, öffneten auf dem Kleidermarkt, der in seinem Aufbau dem eines Basars nachempfunden ist, die Zellen erst langsam ihre eisernen Schiebetore und ließen ihre Gefangenen frei: Schuhe, Taschen, Kleider, hier hängt und stapelt sich ein bunter Mix, darunter auch auffällig viele Markenprodukte, die, um präventiv jedem Zweifel zu begegnen, zusätzlich mit dem Prädikat „original“ ausgezeichnet sind. Als ich mich nach dem Preis einer Tasche erkundigte, fühlte ich mich in meiner Verhandlungsposition dann doch sehr in das touristische Vietnam versetzt. Egal ob im kleinen Hanoi oder im Original, es schienen die gleichen Verhandlungsmechanismen zu wirken. Ich, in der Rolle der naiven Fremden, der man vermeintlich das Geld aus der Tasche ziehen kann, und mein Gegenüber als Teil der lokalen Händlergemeinschaft, die mir aufgrund der Sprachbarriere mit wildem Herumtippen auf dem Taschenrechner einen utopischen Preis anbietet, mit der Aufforderung anschließend meinen Preisvorschlag in die elektronische Rechenmaschine einzugeben. Als ich abwinkte und ihr zu verstehen gab, dass die Diskrepanz zwischen unseren Preisvorstellungen zu groß sei, lief sie mir mit großem Interesse an einer weiteren Verhandlungsrunde nach. Einen Tanz den ich so und ähnlich bereits auf vielen vietnamesischen Märkten getanzt habe.

Bis zur Decke ragen die vollbepackten Regale in den vielen kleinen spezialisierten Geschäften. Foto: Lara Kauffmann

Bis zur Decke ragen die vollbepackten Regale in den vielen kleinen spezialisierten Geschäften. Foto: Lara Kauffmann

Mehr als ein Handelszentrum

Neben Lebensmitteln im XXL-Format bietet das Zentrum die Möglichkeit, diese in verarbeiteter Form zu kosten. Rund um einen zweiten Eingang hat sich eine kleine Essensmeile angesiedelt. Von der klassischen Pho-Suppe, über das Banh Mi Sandwich bis hin zum Eierkaffee. Auch kulinarisch bietet das Prager Hanoi die Möglichkeit, in das ferngelegene Land in Südostasien zu reisen oder sich nach einer ausgiebigen Shoppingtour zu stärken. Zwischen Obststand und Essensimbiss findet sich außerdem ein buddhistischer Tempel, der aktiv genutzt wird und verdeutlicht, dass „Sapa“ nicht nur ein Handels- sondern auch Kulturzentrum ist. Die vietnamesische Kultur findet sich hier in Schulen, Sportvereinen, Kindergärten, Sprachschulen, Arztpraxen und nicht zuletzt auch in den Redaktionen lokaler Zeitschriften wieder. Außerdem hat der Verein „EUVIET“, der die Förderung der Integration vietnamesischer Bürger in der Tschechischen Republik und der Europäischen Union zum Ziel hat, hier seinen Sitz.

Vietnamesische Minderheit in Tschechien

Die vietnamesische Minderheit stellt in der Tschechischen Republik nach der ukrainischen und der slowakischen die drittgrößte ausländische Bevölkerungsgruppe dar. Mit circa 62.000 Menschen vietnamesischer Herkunft (Stand 2019) machen sie einen Bevölkerungsanteil von knapp einem halben Prozent aus. Vermutungen zu Folge liegt die tatsächliche Zahl um einiges höher. Besonders konzentriert ist ihr Anteil in der Hauptstadt Prag.

Bereits in den 1950er Jahren nahm die damalige tschechoslowakische Republik diplomatische Beziehungen zu ihrem sozialistischen Bruderstadt Vietnam auf, die es jungen Vietnamesinnen und Vietnamesen ermöglichten, zum Studium oder Ausbildungszwecken in die Tschechoslowakei zu kommen. Nach der Wende 1989 blieben viele, deren Nachkommen heute teilweise bereits in dritter Generation in Tschechien leben.

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