Vielerorts in Tschechien bieten die Grabstätten der ehemaligen deutschen Bevölkerung einen traurigen Anblick - Foto: Milan Votava

In vielen Orten Tschechiens bieten alte Grabstätten der ehemaligen deutschsprachigen Bevölkerung einen traurigen Anblick. In Haindorf und Ferdinandsthal kann man nun sudetendeutsche Gräber adoptieren, wodurch viele bereits aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht sind.

Es sind Namen wie Augsten, Leukert, Bergmann, Schiller, Fritsch oder Melzer. Vielerorts in Tschechien zeugen Friedhöfe von den Deutschen, die diese Orte einst ihr Zuhause nannten. Heute sind viele der deutschen Gräber zwar immer noch erhalten, bieten aber einen eher traurigen Anblick, denn die Nachkommen konnten sich seit der Vertreibung nicht mehr um die Gräber ihrer Vorfahren kümmern, die meisten gerieten in Vergessenheit und waren jahrzehntelang dem Verfall preisgegeben. Nicht wenige Gräber sind in den vielen Jahren geschändet worden. In Haindorf (Hejnice) und Ferdinandsthal (Ferdinandov) im Bezirk Reichenberg (Okres Liberec) aber sind viele Grabstätten vor einiger Zeit aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht. Der Grund: In den beiden Ortschaften können Bürger nun dank eines Projekts für alte, zusehends verfallende sudetendeutsche Gräber eine Patenschaft übernehmen.Die Grabsteine sind stark verwittert und Unkraut hat schon länger niemand entfernt - Foto: Milan Votava

Das Projekt „Adopce hrobu“ („Gräber-Adoption“) in Haindorf und Ferndinandsthal wird geleitet vom 24-jährigen Milan Votava, der gebürtig aus Ferdinandsthal stammt und an der Technischen Universität in Reichenberg (Liberec) Geschichte studiert. Nebenbei unterrichtet er an der Grundschule in Bad Liebwerda (Lázně Libverda) und beschäftigt sich intensiv mit der Geschichte seiner Heimatregion, für die er sich bereits seit seiner frühen Kindheit interessiert.

Auch die alten deutschen Friedhöfe in seiner Region interessierten Votava schon länger. Diese befänden sich in einem bedauernswerten Zustand: „Besonders auf dem Friedhof in Haindorf ist der Zustand der Grabstätten fast traurig“, sagt Votava. Es seien majestätische künstlerische Meisterwerke der damaligen Steinmetze, die sich heute in einem miserablen Zustand befänden. Im Dezember vergangenen Jahres pachtete Votava die alten Gräber der Familien Effenberger, Ullrich und Dobisch. Diese begann er wiederherzurichten und er beschäftigte sich intensiv mit der Geschichte dieser Familien.

Das Grab der Familie Peuker - Foto: Milan VotavaDoch was sollte man mit den vielen anderen Gräbern tun, die niemand pflegt? Die Stadt Haindorf hat nicht die nötigen Mittel und die Kapazitäten, um sich in angemessener Weise um die alten Grabstätten zu kümmern. Als Votava den Wolschaner Friedhof (Olšanské hřbitovy) in Prag besuchte, kam ihm eine Idee. Dort gibt es bereits seit einigen Jahren die Möglichkeit, Gräber-Patenschaften zu übernehmen, wieso sollte das nicht auch in seinem Heimatort funktionieren? In der örtlichen Bevölkerung stieß das auf ein reges Interesse: In Ferdinandsthal sind schon alle Gräber adoptiert worden, in Haindorf gibt es aber noch viele, die eine Reparatur oder zumindest Pflege bräuchten. Votava schätzt die Zahl auf über Einhundert.

„Die Gräber der Familien Scholz, Effenberger, Fritsch, Worf und anderer, die Ende des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts maßgeblich zur Gestaltung, Funktionsweise und zum Erscheinungsbild der Stadt beigetragen haben, sind beschädigt und verfallen. Diese Situation ist langfristig nicht zulässig und muss geändert werden. Die Adoption bietet eine Chance, nicht nur architektonische Juwelen, sondern auch die menschlichen Schicksale zu retten. Oft sind diese Gräber das letzte Vermächtnis dieser Menschen“, sagte Votava in einem Gespräch mit dem LandesEcho.Die Namen auf den Grabsteinen sind teilweise nicht mehr zu lesen - Foto: Milan Votava

Viele Menschen kümmern sich bereits um die alten Grabstätten. Das rege Interesse und die Mühen vieler Bürger erklärt Votava mit einem verbreiteten Interesse an der lokalen Geschichte, aber zum Teil auch mit einem schlechten Gewissen, dass man sich schon früher um die Gräber hätte kümmern können. Was überraschen mag: Überwiegend übernehmen Leute zwischen 30 und 40 Jahren und sogar 18-Jährige Gräber-Patenschaften, also eine Altersgruppe, die laut Votava überwiegend frei von Vorurteilen sei. Es sind aber nicht nur Einzelpersonen, die sich um die alten Gräber kümmern. Auch lokale Unternehmen unterstützen das Projekt und sponsern z. B. neue Grabsteine.

Die alten Grabstätten sind in vielen Orten Tschechiens oft die letzten Hinweise darauf, dass es dort einmal eine deutschsprachige Bevölkerung gab. Das Projekt ist nicht zuletzt auch der Versuch, die Erinnerung an diese Vergangenheit aufrechtzuerhalten. Auch die Landesversammlung der deutschen Vereine hat angekündigt, zusammen mit der Tschechischen Republik das Problem der verfallenden Grabstätten landesweit anzugehen.

Wenn Sie auch an einer Gräber-Patenschaft in Haindorf interessiert sind, können Sie sich an die Stadtverwaltung von Haindorf wenden oder Milan Votava unter mila.votava@seznam.cz kontaktieren. Die Adoption der Gräber kostet nichts, eine regelmäßige Pflege der Grabstätten wird jedoch erwartet.


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