Das Online-Portal „Kafka2024“ sammelt Veranstaltungen, die in diesem Jahr anlässlich Kafkas 100. Todestages stattfinden. Koordiniert wird die Plattform vom Adalbert Stifter Verein in München. Wir haben mit der Geschäftsführerin Dr. Zuzana Jürgens über das Portal und das Kafka-Jahr 2024 gesprochen.

LE: Frau Jürgens, was kann das Portal „Kafka2024“?

Vielleicht erstmal, was es nicht kann: Es ist kein kompletter, alles umfassender Überblick darüber, was es in diesem Kafka-Jahr geben wird. Diesen Anspruch haben wir nicht, es wäre auch gar nicht möglich, so einen Überblick zu bieten. Dafür ist es tatsächlich viel zu viel, was dieses Jahr stattfindet. Nichtsdestotrotz, die Idee oder die Vorbereitungen für dieses Portal gibt es schon seit 2022 und wir haben die Zeit genutzt, um Veranstalter, Kooperationspartner und Akteure in Deutschland, Tschechien, Österreich zu verbinden und zu vernetzen.

Durch diese Vernetzung sind auch noch weitere Veranstalter dazu gekommen, mit dem Ziel, dass man sich im Vorfeld austauscht, in den einzelnen Orten versucht, Terminüberschneidungen zu vermeiden, und vielleicht auch, dass Kooperationen stattfinden. Diese Vernetzung war uns in der Vorbereitungsphase sehr wichtig. Als Zweites wollten wir einen Raum schaffen, an dem man sich relativ unkompliziert informieren kann, was, wo und wann etwas zu Kafka stattfindet. Also zum Beispiel könnte es so sein, ich bin jetzt in Prag, ich habe Zeit, dann gebe ich in der Suchmaske Prag ein und dann sehe ich Veranstaltungen, die in der Stadt stattfinden, insofern sie auch im Portal sind, das wächst aktuell immer noch. Also das Ziel war es, bei der Fülle an Veranstaltungen ein wenig Überblick zu schaffen, dass man sich gegenseitig bewirbt und dem Thema Kafka eine bessere Sichtbarkeit gibt.

LE: Wie wurden die Veranstaltungen auf dem Portal ausgewählt? Findet man dort eher Veranstaltungen der großen „Player“?

Ich gebe zu, dass die ganz großen Player, zum Beispiel das Literaturarchiv in Marbach oder die Nationalbibliothek in Tel Aviv, die den Nachlass von Kafka besitzt, nicht dabei sind, weil ich glaube, dass die ausreichend Mittel haben, um selbst präsent zu sein. Aber es sind tatsächlich auch größere Institutionen beteiligt. Den Kern des Portals bilden Veranstaltungen in Deutschland, Tschechien und Österreich. Der Adalbert Stifter Verein widmet sich seit seiner Entstehung dem deutschen Kulturerbe in den böhmischen Ländern und ist dadurch sehr gut vernetzt. Gerade in dieser Szene haben wir angesetzt, mit Partnern, mit denen wir schon lange zusammenarbeiten. Das sind zum Beispiel die tschechischen Zentren oder das Deutsche Kulturforum Östliches Europa, aber wir arbeiten auch mit vielen weiteren Institutionen in verschiedenen Städten zusammen, unter anderem mit der Westböhmischen Galerie in Pilsen, dem Literaturhaus in München oder mit der Münchner Volkshochschule.

Wer uns auch sehr unterstützt hat, der aber eben keine Institution ist, ist Reiner Stach, Germanist und Autor der dreibändigen Kafka-Biografie. Der ist von Anfang an als Kurator dabei und eben auch jemand, an den sich viele mit Fragen und Anfragen wenden.

LE: Und wie wird das Ganze koordiniert?

Wenn neue Veranstaltungen dazukommen, schauen wir uns natürlich schon an, welche das sind, aber das Portal ist eigentlich offen. Es ist eigentlich noch nicht passiert, dass wir gesagt haben, dass etwas nicht zu uns passt. Es sind oft Veranstaltungen von kleineren Institutionen, auch an der Grenze zu Österreich und Tschechien. Das sind einfach schöne Veranstaltungen, in denen es um das Interesse an dem Autor und an dem Werk geht und immer wieder um den Austausch.

Zur Koordinierung gab es in der Vorbereitungsphase einige Treffen online und auch persönlich. Jetzt läuft es schon und die Website hat einen internen Bereich, zu dem wir den Veranstaltern einen Link geben. Die können dann selbst ihre Veranstaltungen eintragen. Wir kümmern uns um die Redaktion und wenn es notwendig ist auch um die Übersetzung, weil die Website inzwischen dreisprachig ist. Von Anfang an war alles auf Deutsch und Tschechisch geplant, dann hat sich gezeigt, dass die englische Version auch wichtig sein wird.

Franz Kafka, geboren am 3. Juli 1883 in Prag, war ein deutschsprachiger Schriftsteller, dessen Werke ihn zu einem der bedeutendsten Autoren der modernen Literatur machen. Trotz seiner relativ kurzen Lebensspanne, die am 3. Juni 1924 in Kierling bei Wien endete, hinterließ Kafka ein beeindruckendes literarisches Erbe. Zu seinen bekanntesten Werken zählen „Der Prozess“, „Das Schloss“ und „Die Verwandlung“, die sich durch ihre komplexe Erzählweise, die Erforschung von Angst, Schuld und Isolation sowie durch die Darstellung einer oft absurden und unzugänglichen bürokratischen Welt auszeichnen. Trotz des posthumen Ruhms litt Kafka zu Lebzeiten unter Selbstzweifeln und veröffentlichte nur einen Bruchteil seiner Werke. Kafkas Freund Max Brod setzte sich über Kafkas letztwillige Verfügung hinweg und veröffentlichte den größeren Teil und dessen Werke.

LE: Kann man beobachten, dass sich bei den Veranstaltungen rund um Franz Kafka ein geografischer Schwerpunkt herausbildet?

Ich glaube, man kann das schon sagen, wobei es vielleicht im Moment noch nicht ganz so sichtbar ist, weil das Portal laufend ergänzt wird. Aber natürlich ist Prag ein Schwerpunkt. Dort finden von zahlreichen Organisatoren durch das ganze Jahr sehr viele Veranstaltungen statt. Uns ist es gelungen, in München so einen kleinen Kafka-Schwerpunkt zu setzen. Wien ist ein natürlicher Schwerpunkt, dort sitzt auch die Franz-Kafka-Gesellschaft, die sehr aktiv ist. Überraschend sind für mich aber diese kleineren Städte, oder Städte wie zum Beispiel Cottbus – die Stadt hat so gesehen nichts mit Kafka zu tun – aber die haben dort beschlossen, dass sie sich dem Thema schwerpunktmäßig widmen wollen. Oder auch České Velenice an der Grenze zu Österreich oder Fellbach in Baden-Württemberg… Das ist für mich wirklich erfreulich, dass auch Veranstalter, die wir vorher nicht gekannt haben oder mit denen wir nichts zu tun hatten, jetzt auf uns zu kommen und ihre Veranstaltungen auf die Website stellen wollen.

LE: Wie würden Sie das Interesse an Franz Kafka zwischen Deutschland, Österreich und Tschechien im Vergleich einschätzen?

Mein Eindruck ist, dass das Interesse eigentlich gleich groß ist. Es gibt aber vielleicht andere Schwerpunkte. Mir ist zum Beispiel aufgefallen, dass in Prag sehr wenige literarische Veranstaltungen stattfinden werden, auch wenn Kafkas Werk komplett auf Tschechisch vorliegt. Stattdessen sind es viele Ausstellungen, Vorträge oder Tagungen, Theater spielt eine große Rolle. Die Buchmesse „Svět knihy“ jedenfalls wird einen deutschsprachigen Schwerpunkt haben – das Gastland oder der Gast dieses Jahrgangs ist die deutschsprachige Literatur mit einer besonderen Betonung des Kafka-Jahrestags.

Vielleicht hängt das damit zusammen, dass er doch ein deutschsprachiger Autor ist, dass man sich in Tschechien mehr für die Themen interessiert, die sein Leben und Werk geprägt haben. Für den Kontext, in dem er gelebt hat. Das ist wohl eher das, worauf man in Tschechien oder insbesondere in Prag zurückgreift. Wohingegen in Deutschland – aber auch das ist nur meine Wahrnehmung – mehr literarische Veranstaltungen stattfinden. Auch unter diesem Gesichtspunkt war unser Interesse, die tschechischen und deutschen oder österreichischen Akteure zusammenzubringen. Dadurch, dass Kafka in Prag lebte, betrachtet man ihn dann doch auch als einen Teil der tschechischen Kultur und dadurch, dass er auf Deutsch geschrieben hat, ist er natürlich auch ein Teil der deutschsprachigen Literatur und Kultur und ich glaube, man hat nicht zwingend das Gefühl, dass man sich mit den anderen in Kontakt setzen muss, um sich seinem Werk zu widmen. Aber ich denke, dass sich das lohnt und es machen auch einige.

„Ich hoffe, dass wir am Ende des Jahres sagen können, dass Franz Kafka ein verbindendes Thema war.“

LE: Versuche, Kafka aus einer nationalen Perspektive für sich zu vereinnahmen, kann man ja öfter beobachten. Mit den Fragen von nationalen Kategorien in der Literatur hat sich im vergangenen Jahr auch eine Veranstaltung beschäftigt, die der Adalbert Stifter Verein mitorganisiert hat. „War Kafka ein Sudetendeutscher?“, fragte der Titel der Diskussion in der Tschechischen Botschaft in Berlin…

Solche Vereinnahmungen sind mir in dem Programm zum Kafka-Jahr bisher nicht begegnet, aber natürlich habe ich auch noch letztes Jahr in irgendeiner österreichischen Zeitung gelesen, dass Kafka der größte österreichische Schriftsteller gewesen sei. Diesen Versuch kann man unternehmen, es ist nur die Frage, wozu das gut ist.

In der Veranstaltung, die Sie erwähnen, haben wir hoffentlich erfolgreich gezeigt – der Titel war natürlich ein bisschen provokativ –, dass das nicht nur keinen Sinn hat oder nirgendwohin führt, sondern es auch nicht möglich ist, gerade im Falle von jemandem, der in der Monarchie und in der ersten Tschechoslowakischen Republik gelebt hat, der diese mehrfache multiple Identität hatte. Also was bringen solche Zuschreibungen? Nichts, und gleichzeitig sind sie auch historisch. Ich hoffe, dass wir am Ende des Jahres sagen können, dass Franz Kafka ein verbindendes Thema war.

LE: Haben Sie persönliche Empfehlungen zu bestimmten Veranstaltungen? Zu welchen würden Sie selbst gerne gehen?

Ja, klar. Zum einen, aber da muss man gar nicht hingehen, sondern man kann am Computer sitzen, würde ich das dreiteilige Spiel „Playing Kafka“ empfehlen, was das Goethe-Institut Prag mit Charles Game entwickelt hat. Den ersten Teil gibt es schon und die zwei weiteren erscheinen zur Prager Buchmesse im Mai. Ich freue mich sehr auf das Kabarett von „Das Thema“ / „To téma“, das ist eine deutsch-tschechische Theatergruppe, die ein zweisprachiges Kafka-Stück entwickelt haben, was im März in Prag Premiere feiern wird. Gespannt bin ich auch auf die Ausstellung in der Galerie DOX in Prag („Kafkaesque“), die sich Kafkas Rezeption in der Kunst widmet. Erwähnen würde ich noch eine Ausstellung in Pilsen, und zwar ist das eine historische Ausstellung, die sich Franz Kafka und seiner Beziehung zur bildenden Kunst seiner Zeit widmet und auch der Frage nachgeht, wie diese visuelle Beziehung seine Sprache beeinflusst hat. Dann gibt es im Herbst noch eine Ausstellung in Regensburg, die wiederum die Illustrationen zu Kafkas Werken in den Blick nimmt. Neugierig bin ich außerdem auf einen Podcast der Franz-Kafka-Gesellschaft in Österreich zu den letzten sechs Wochen vor Kafkas Tod.

Aber es ist total schwierig, eine Auswahl zu treffen, denn es gibt auch viele interessante kleinere Veranstaltungen. Ich freue mich darauf, den kommentierten Prozess von Reiner Stach zu lesen. Dann erscheint jetzt zur Leipziger Buchmesse eine Anthologie von vor allem deutschsprachigen Autoren, die sich mit Kafka auseinandergesetzt haben. Also eigentlich könnte man jetzt das ganze Jahr reisen und sich das alles anschauen.

 Im Videospiel „Playing Kafka“ kann man in die Rolle von Kafkas Figuren schlüpfen und sich durch eine kafkaeske Welt schlagen. Foto: Charles Games
Im Videospiel „ Playing Kafka“ kann man in die Rolle von Kafkas Figuren schlüpfen und sich durch eine kafkaeske Welt schlagen. Foto: Charles Games

LE: Welche Veranstaltungen plant der Adalbert Stifter Verein selbst zum Kafka-Jahr?

Wir selbst planen als Adalbert Stifter Verein in Kooperation mit Partnern natürlich auch noch weitere Veranstaltungen, eher literarische, und tatsächlich auch zwischen Deutschland, Tschechien und Österreich. Wir werden das Jahr beenden mit einer Doppelausstellung mit Zeichnungen des österreichischen Zeichners Nikolaus Mahler. Der hat eine gezeichnete Biografie von Kafka, „Komplett Kafka“ herausgebracht. Gleichzeitig übernehmen wir die Ausstellung des Literaturmuseums in Prag. Diese wird Ende Mai in Prag eröffnet und geht sozusagen aus einer tschechischen Perspektive Kafka in den Übersetzungen und Rezeptionen nach.

Wir haben am Anfang überlegt, ob man überhaupt noch etwas Neues zu Kafka sagen kann oder wie wir es schaffen, dass wir nicht nur historische oder literaturgeschichtliche Veranstaltungen machen. Aber es wurde sehr deutlich, dass die Themen, die eben mit Franz Kafka, mit seinem Leben und mit seinen Texten verbunden sind, nach wie vor aktuell sind. Man kann sich einzelne Motive rausnehmen, aktualisieren oder aus der heutigen Perspektive bearbeiten und man findet tatsächlich immer wieder etwas Neues. Natürlich gibt es auch literaturwissenschaftliche Vorträge, aber die sind wirklich nicht rückwärtsgewandt, sondern schauen auf die Frage, warum wir Kafka auch heute noch immer wieder lesen und warum er für uns so faszinierend ist. Das ist, glaube ich, auch eine Frage, die dieses Jahr überdauert, weil es darauf wahrscheinlich keine eindeutige Antwort gibt.

LE: Man liest auch häufig von Vergleichen zwischen den 20er Jahren von damals und heute…

Wenn man sich die Kontexte anschaut, da gibt es tatsächlich Ähnlichkeiten. Es waren auch Zeiten des Umbruchs, in denen Kafka als Erwachsener lebte. Wir haben multikulturelle Gesellschaften, einen aufsteigenden Nationalismus, die Mehrsprachigkeit und die Bürokratie gibt es ja auch. Vor einigen Tagen gab es in Moskau einen Prozess gegen den Gründer der Organisation Memorial, Oleg Orlow, und er hat während der Gerichtsverhandlung aus dem Prozess von Kafka gelesen. Also auch so kann man das denken.

Das Gespräch führte Manuel Rommel

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